Die drei Kandidaten nehmen Stellung

Im Gespräch auf der Redaktion des Oltner Tagblatts bezogen die drei Ständeratskandidaten Roland Borer (SVP), Roland Fürst (CVP) und Roberto Zanetti (SP) Stellung zu aktuellen politischen Themen. Darüber hinaus beantworteten sie Fragen zu ihrem Werdegang und ihren Werten in der Politik.
DAS INTERVIEW FUHRTEN BEAT NUTZI, UELI WILD UND CHRISTIAN VON ARX
Welche Position beziehen Sie zum Verhältnis der Schweiz zur EU?
Roland Fürst: Die Schweiz soll den pragmatischen bilateralen Weg weiter verfolgen. Er ist harzig, führt aber zum Erfolg.
Roberto Zanetti: Der bilaterale Weg ist im Moment erfolgreich, aber er wird sicher nicht einfacher. Bedächtig und die Vorund Nachteile wohl abwägend, müssen wir uns die Option eines Beitritts zur EU offenhalten.
Roland Borer: Der bilaterale Weg hat sich bisher bewährt. Ich bin auch für neue Abkommen, aber immer auf der Basis von Geben und Nehmen. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip zum Beispiel ist richtig für unsere Wirtschaft, aber die einseitige Anerkennung durch die Schweiz ist für mich ein Problem.
Durch die Fehler, die Banker in den USA begangen haben, ist die Schweiz international unter Druck geraten. Was ist zu tun, damit sie wieder aus der Schusslinie kommt? Welches Signal sendet diesbezüglich die Minarett-Initiative aus?
Roberto Zanetti: Die SP strebte schon vor Jahrzehnten an, dass das Bankgeheimnis nicht Steuerhinterziehung schützen soll. Denn das war ein moralisch verwerfliches Geschäftsmodell. Hier ist die Schweiz auf gutem Weg, das so weit in Ordnung zu bringen, dass die Staaten, die massive Finanzprobleme haben, zu dem kommen, was ihnen zusteht. Die Minarett-Initiative wird in der islamischen Welt kein Ruhmesblatt sein für die Schweiz. Sie würde die Vorbildrolle der Schweiz Lügen strafen, die Roland Borer in seiner Zukunftsvision angesprochen hat (vgl. Beitrag links). Die Gefahr, dass ein paar Fundamentalisten bei uns Unruhe schaffen könnten, wird durch die Initiative sicher nicht gelöst; sie könnten eher noch radikalisiert werden.
Roland Fürst: Vorweg: Steuerhinterziehung ist auch bei uns strafbar. Und das Bankgeheimnis ist nicht ein Geheimnis für die Banken, sondern für die Kunden. Aber es trifft zu, hier sind Fehler passiert. Die Schweiz tut gut daran, die Initiative zu ergreifen, selbstbewusst aufzutreten und zusammen mit den anderen Ländern Lösungen zu erarbeiten. Gefährlich wäre allerdings, eine Vorreiterrolle spielen zu wollen und sich einseitig Wettbewerbsnachteile einzuhandeln. – Ein Minarettverbot könnte negative Wirkungen nach aussen zur Folge haben. Unsere wirtschaftlichen Verbindungen mit den islamischen Staaten haben ein jährliches Volumen von 40 Milliarden Franken.
Roland Borer: Die Schweiz muss darauf pochen, dass das Recht durchgesetzt wird. Grossbritannien macht uns Vorwürfe wegen Steuervergehen, doch auf seinen Kanalinseln oder den Bahamas sind Steuerschlupflöcher System. Das Gleiche gilt für die USA mit den Trusts in gewissen Gliedstaaten. Darum hätte ich von unserer Regierung mehr Rückgrat erwartet, dass sie von den Kritikern gleiches Recht fordert. – Die Minarett-Initiative ist für die Wirtschaft kein Problem. Wenn die Schweizer Industrie ein gutes Produkt preiswert liefern kann, werden die islamischen Länder genau gleich Schweizer Produkte kaufen. Die Minarett-Initiative allein löst das zunehmende Problem des fundamentalistischen Islamismus in der Schweiz nicht, aber sie macht darauf aufmerksam.
In der Schweiz sind zwei Volksinitiativen gegen die Abzockerei auf dem Tisch, eine von Thomas Minder, eine von den Juso. Wie stellen Sie sich dazu?
Roland Borer: Ich lehne beide ab. Sicher ist es unanständig, wenn Manager eine Firma zu Boden fahren und sich selbst einen goldenen Fallschirm nehmen. Aber das haben die Besitzer der Firma zu lösen, also die Aktionäre, und nicht der Staat.
Roland Fürst: Hier bin ich gleicher Meinung wie Roland Borer. Die Abzocker-Initiative kam aufgrund von wenigen stossenden Beispielen zustande. Was dort passierte, war unanständig, aber diese Probleme müssen die Firmen selbst lösen.
Roberto Zanetti: Ich komme zu einem anderen Schluss. Unsere ganze Rechtsordnung braucht es nur, weil einige wenige überborden. Wo Einsicht und gesunder Menschenverstand nicht mehr greifen, braucht es eine gesetzliche Lösung für den Konfliktfall. Dass Banker sich auch dann noch grosse Löhne zuschanzen, wenn die Bank am Tropf des Staates hängt, verstehe ich einfach nicht. Darum habe ich für beide Initiativen grosse Sympathien. Bei der Minder- Initiative bin ich mir gar nicht so sicher, dass sie abglehnt wird. Als Signal, dass alles eine Grenze hat, braucht es sie.
Roland Fürst: Dass die Minder-Initiative grosse Chancen hat, sehe ich auch so.
Roland Borer: Von allen Unternehmern in der Schweiz steht doch hier nur eine Hand voll zur Diskussion. Alle anderen bewegen sich in einem anständigen Rahmen. Was gewinnen wir, wenn Nestlé seinen Sitz auf die Cayman-Inseln verlegt und Nestlé-Chef Brabeck weiterhin seinen Lohn in zweistelliger Millionenhöhe abholt? Es ist sinnvoller, wenn die Firma hier bleibt und Steuern bezahlt. Der Gesetzgeber muss dafür sorgen, dass die Aktionäre unanständige Auswüchse bremsen können.
Thema Sicherheitspolitik: Was sagen Sie zu Fliegerbeschaffung, Verkürzung der RS und Auslandeinsätzen?
Roberto Zanetti: Ich bin da kein Fachmann. Wenn der Verteidigungsminister sagt, die Fliegerbeschaffung sei nicht nötig oder wir könnten sie uns nicht leisten, dann wird er wohl Recht haben. Und wenn der Chef der Armee glaubt, die Ausbildung in kürzerer Zeit verabreichen zu können, wird auch er dafür seine Gründe haben. Für mich hat die Armee eine Existenzberechtigung, wenn sie so etwas wie eine erweiterte Polizeifunktion wahrnehmen kann, durchaus auch international. Wir können nicht immer vom Rest der Welt erwarten, dass er für Ordnung sorgt, und uns nobel zurückhalten.
Roland Fürst: Wenn wir Ja sagen zur Armee, dann brauchen wir auch Kampfflugzeuge. Wenn der Verteidigungsminister meint, dass wir uns das nicht leisten könnten, heisst das nicht, dass sie nicht nötig wären. Bei der Armee wurde das Budget immer weiter gekürzt, irgendeinmal geht das nicht mehr. Unsere Sicherheitspolitik setzt ein neues Kampfflugzeug voraus. Da müssen wir das Budget anpassen. Die RSDauer soll meiner Meinung nach nicht verkürzt werden. Auslandeinsätze befürworte ich im Rahmen unserer Mittel.
Roland Borer: Der Tiger ist 50 Jahre alt. Dieser Flieger muss jetzt ersetzt werden. Wenn Bundesrat Maurer sagt, das habe nicht Priorität, zeigt das nur, dass die Armee so heruntergespart wurde, dass er gar nichts mehr beschaffen kann. Bei der RS-Verkürzung geht es darum, die Kosten bei der Grundausbildung zu reduzieren. Das kann man prüfen und allenfalls umsetzen, aber dann braucht es wie früher Samstagsdienst in der RS. Die Auslandeinsätze müssen auf Kosten/Nutzen überprüft werden, und zwar primär auf den Nutzen für uns. Zudem müssen sie zu Lasten des Budgets des EDA erfolgen und nicht des Verteidigungsdepartements.
Wie stehen Sie zur Waffenausfuhrverbotsinitiative?
Roberto Zanetti: Ich werde dieser Initiative zustimmen. Im Wissen darum, dass sie nicht reüssieren wird, aber mit der Hoffnung auf ein respektables Resultat, damit der Bund bei den Bewilligungen strenger auf die Einhaltung des Gesetzes achtet. Ich weiss, dass die Initiative kurzfristig zu Problemen für die betroffenen Betriebe führen kann, aber man kann nicht nachhaltig Arbeitsplätze sichern mit einem moralisch fragwürdigen Geschäftsmodell. Zum Waffenexport mache ich ein moralisches Fragezeichen. Sonst wäre ich ein Verräter gegenüber den Vätern meiner Freunde vor 37 Jahren (vgl. unten: «Darum ging ich in die Politik»).
Roland Fürst: Ich lehne die Initiative ab. Sie gefährdet 10 000 Arbeitsplätze, wenn man auch die Güter berücksichtigt, die zivil wie militärisch verwendbar sind. Dazu kommt der Innovationsverlust. Unsere heutige Gesetzgebung deckt die berechtigten Forderungen ab, entspricht dem westlichen Standard und ist die restriktivste in Europa. Und: Verwerflich sind Schweizer Waffen, die Gewalt fördern; aber ein Waffenausfuhrverbot verhindert auch Schweizer Waffen, die Frieden fördern.
Roland Borer: Direkt in der Rüstungsindustrie sind es über 5000 Arbeitsplätze, dazu kommen die Arbeitsplätze in den Zulieferfirmen. Gerade im Kanton Solothurn kenne ich keine Firma der Decolletage oder der Metalloberflächenveredlung und fast keine im Bereich Kunststoffspritztechnik, die noch nie für die Rüstungsindustrie gearbeitet hätte. Deren Aufträge helfen mit, diese Arbeitsplätze noch zu betreiben. Die Unterminierung der Zulieferindustrie soll für die Gruppe Schweiz ohne Armee ein weiterer Schritt zur Abschaffung der Armee sein. Da mache ich nicht mit. Roland Fürst: Als Geschäftsführer des schweizerischen Decolletageverbandes und des schweizerischen Metallzuliefererverbandes kann ich diese Aussagen bestätigen.
Welche Pflöcke müssen in der Gesundheitspolitik eingeschlagen werden, damit man die Kostenspirale in den Griff bekommt?
Roland Fürst: Das Wichtigste ist: Die Spitalplanung muss schweizweit erfolgen und darf nicht mehr in der Obhut der Kantone liegen. Es gibt keinen kantonalen Politiker, der ein Spital schliesst, sonst ist er für die nächsten vier Jahre abgewählt.
Roland Borer: Aufgrund der Zahlen von 2008/2009 muss der Kanton Solothurn seine Krankenkassenprämien nur deshalb erhöhen, weil die Spitalkosten und vor allem die Kosten für die Spitalambulatorien gestiegen sind, und zwar erheblich. Es braucht nicht unbedingt eine nationale Spitalplanung, aber einen Mechanismus bei der Finanzierung, dass es die Bevölkerung eines Kantons selbst zahlen muss, wenn sie zu viele Spitäler betreiben will.
Also ein Diktat von oben?
Roland Borer: Es muss ein Diktat von oben geben. Man kann den Kantonen zwar nicht vorschreiben, wo die Spitäler sein müssen, aber der Bund muss festlegen, dass gewisse Finanzströme nicht mehr fliessen, wenn ein Kanton nicht bereit ist, seine Spitalsituation zu bereinigen.
Roberto Zanetti: Hier kann ich mich anschliessen. Ich habe es im Kantonsrat erlebt, wie auch die Hardcore- Sparer alles gemacht haben, um «ihr» Spital zu retten. Es ist fast unmöglich, dass ein Kanton ein Spital «amputieren» würde. Darum muss die Steuerung auf einer anderen Ebene erfolgen.
Wie stellen Sie sich zu Selbstdispensation und Einheitskrankenkasse?
Roland Borer: Die Einheitskrankenkasse bietet keine Lösung. Man spricht neuerdings von 26 kantonalen Einheitskassen. Warum soll das günstiger sein als das heutige System? Zur Selbstdispensation: Die Kosten des Medikamentenverkaufs über die Hausärzte sind marginal angestiegen, diejenigen des Verkaufs über die Apotheken stärker. Zudem ist beim Arzt die Beratung in seinem Tarmed-Tarif bereits enthalten, in der Apotheke kommt noch die Apothekertaxe zu Lasten der Krankenkasse hinzu. Ich bin für die Beibehaltung der Solothurner Lösung.
Roland Fürst: Einverstanden. Eine Einheitskrankenkasse kommt für mich nicht in Frage, das widerspricht meinem grundsätzlichen Empfinden von Wettbewerb. Auch bei der Selbstdispensation bin ich gleicher Meinung. Roberto Zanetti: In der Grundversicherung bin ich für eine Einheitskasse, damit könnte viel bürokratischer Unsinn eingespart werden. Unter dem Dach der AHV gibt es auch kantonale Ausgleichskassen. Bei der Wasserversorgung will auch niemand verschiedene Anbieter zulassen. Selbstdispensation: Längst nicht in allen Gebieten ist eine Apotheke in der Nähe. Häufig dient es dem Patienten, wenn er ein Medikament gleich direkt beim Arzt erhalten kann. Das sollte man weiterhin ermöglichen, aber dafür sorgen, dass sich niemand mit dem Medikamentenverkauf eine goldene Nase verdient.
Sind Sie für den Ersatz der langsam auslaufenden Kernkraftwerke – und wo?
Roland Fürst: Wir müssen die Stromversorgung für Bevölkerung und Unternehmen gewährleisten. Um die Grundlast abzudecken, braucht es Grosskraftwerke. Gaskombikraftwerke sind CO2-Schleudern, deshalb müssen wir auf KKW als das kleinere Übel setzen. Ein KKW Niederamt befürworte ich. Wenn es bei uns steht, haben wir Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Sicherheit bei uns. Ein KKW-Problem würde uns unabhängig vom Standort betreffen. Ich bin dafür, ein Werk im Niederamt möglichst schnell zu realisieren. In Mühleberg fehlen die nötigen Netzkapazitäten. Die Leitungen zu bauen, ist fast das grössere Problem als ein KKW zu bauen.
Roland Borer: Um den zunehmenden Energieverbrauch zu decken, müssen wir die bestehenden Kernkraftwerke durch ein bis zwei neue ersetzen. Die Standorte sollten dort sein, wo schon heute ein KKW betrieben wird. Von der Netzanbindung her ist das Niederamt der perfekte Standort, weil sich dort die grossen Höchstspannungsleitungen kreuzen. Ob Beznau oder Niederamt zuerst kommen, müssen aber die Fachleute entscheiden. Mühleberg kommt für mich nicht in Frage.
Roberto Zanetti: Der Unfall von Tschnobyl 1986 führte mir vor Augen, dass die Folgen eines Atomkraftunfalls viel grösser sind als selbst der Bruch einer Staumauer. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit kleiner sein mag, ist das Risiko für mich nicht vertretbar. Ich sehe aber die Problematik des Strombedarfs auch. Die Konzession liegt für mich darin, allenfalls die bestehenden Betriebsbewilligungen zu erstrecken, wenn die Sicherheitsstandards eingehalten sind. Ob das Werk in Beznau oder im Niederamt steht, ist nicht der springende Punkt. Wenn wir im Niederamt das Atom- Valley der Schweiz machen, ist das aber auch ein wirtschaftliches Klumpenrisiko.
Was halten Sie davon, die Maturitätsquote in der Schweiz auf 60 Prozent zu erhöhen?
Roland Fürst: Davon halte ich nichts. Die Berufslehre ist nicht zweitrangig. Es ist falsch, ihre Attraktivität gegenüber der Maturität zu senken.
Roland Borer: Das duale System ist der grosse Standortvorteil der Schweiz. Die Idee, das kaputt zu machen, kann nur in einer geschützten Werkstätte entstehen.
Roberto Zanetti: Die Vorteile des heutigen Systems sind unbestritten. Die Anforderungen an die Berufslehren werden aber voraussichtlich steigen.
AUFGEZEICHNET VON CHRISTIAN VON ARX