Zanetti – Der Wirtschaftsvertreter der Büezer

Am 29. November wählt das Solothurner Stimmvolk den Nachfolger des verstorbenen Ständerats Aschi Leuenberger. Die Ausgangslage ist spannend, denn sowohl CVP und SVP wollen der SP den 2. Solothurner Sitz im Stöckli streitig machen.
So richtig scheint das Wahlkampffieber die Solothurnerinnen und Solothurner noch nicht gepackt zu haben, wenn ich sie frage, was denn ein Kandidat so im Rucksäckli haben muss, wenn er ins Stöckli will. «Ich unterschreibe nichts!» entgegnet mir etwa eine Frau, während sie schnurstracks an mir vorbeiläuft. Ich denke dann, ohne es wirklich zu wollen, dass man diese Frau sofort im Eidgenössischen Finanzdepartement anstellen müsste. Vielleicht sind die Menschen nicht sehr gesprächig, weil ich mit Schreibblock und Bleistift ausgestattet vor der Kreuzackerbrücke stehe und sie für wer weiss was überreden könnte. Ein bisschen weiter stadteinwärts doch Antworten auf die selbe Frage ohne Block und Stift: «Er muss eine gewisse Intelligenz und Ausstrahlung haben, wobei es nicht unbedingt noch einen Akademiker da oben braucht.» Eine Frau sagt, er brauche Weitsicht über den Kanton hinaus und dürfte auch ruhig ein bisschen europäisch denken. Das Rucksäckli wird dann schnell zum Rucksack, sprich wird schnell schwerer, denn der neue Ständerat muss unbedingt politische Erfahrung haben und soll menschlich, integer und kommunikativ sein. Und: «Er muss einer sein, der auch für die kleinen Leute, für die Büezer da ist.»
«Volksnah», sagt ein anderer wie aus der Pistole geschossen. Welcher der drei Kandidaten denn besonders volksnah sei, will ich wissen. «Ich kenne eigentlich nur zwei von denen. Den dritten von der CVP kenne ich nicht. Ja, volksnah muss er vor allem sein. Man hat ihn halt schon gern gehabt, den Leuenberger. » Gewiss, einen wie Aschi zu ersetzen, wird schwierig, sehr schwierig. Als Ständerat, aber auch als Mensch. Er war einerseits charismatisch. Andererseits war er kompetent, und er bediente sich immer einer träfen Sprache. Mann und Frau verstand ihn. Und Aschi verstand Mann und Frau. Es gibt wohl von links bis rechts niemanden, der oder die das in Frage stellt. Und hier sind sich denn praktisch alle Befragten einig: den Kandidaten für den Ständerat in ein stures links rechts, und pardon, natürlich in ein Mitte- Schema pressen zu wollen, will niemand so richtig. «Es muss nicht unbedingt ein Linker oder ein Rechter, aber ein guter Kerli sein.»
Wirtschaftsvertreter oder Gewerkschafter?
«Ihr habt die Wahl zwischen einem Wirtschaftsvertreter und einem Gewerkschafter», tönt es von Seiten der CVP. Rein wahlkampftechnisch macht eine solche Aussage aber höchstens im Proporzwahlverfahren, zum Beispiel für die Wahl in den Nationalrat, Sinn. Und das auch nur, wenn den Wählerinnen und Wählern die Bedeutung der Begrifflichkeiten vorenthalten wird.
Denn, der Ständerat wird im Majorzwahlverfahren gewählt. Die Nuss, die es im ersten Wahlgang am 29. November zu knacken gilt, ist das absolute Mehr. Das heisst, im ersten Wahlgang ist gewählt, wer von allen gültigen Stimmen mindestens die Hälfte plus eine erhält. Im allfälligen zweiten Wahlgang wäre gewählt, wer das relative Mehr erreicht, also von allen gültigen Stimmen die Meisten erhält. Soll heissen, wer in den Ständerat will, braucht zwangsläufig parteiübergreifende Stimmen. Die Strategie, Zanetti den linken Stempel aufzudrücken, macht daher, wenn überhaupt, nur auf den ersten Blick Sinn. Denn damit treibt sich die CVP gleich selber in die Enge ebendieser Begrifflichkeiten. Was denn nun ein Wirtschaftsvertreter ist, zeigt ein Klick auf die Webseiten und damit ein vertiefter Blick in das Programm von CVP-, resp. Handelskammerkandidat Roland Fürst.
Der CVP-Mann versteht sich nämlich in erster Linie nicht als CVP-Vertreter, sondern als Direktor der Solothurner Handelskammer als Vertreter der Wirtschaft, namentlich der Industrie-, Gewerbe,- und Handelsbetriebe. Entsprechend setzt er sich für verbesserte Rahmenbedingungen der erwähnten Klientel ein. Ein Blick auf die Webseiten der Solothurner Handelskammer wiederum wirft Fragen auf. Fragen, die sich die vielen Familienväter und Mütter stellen, die gegenwärtig ihren Job verlieren oder bereits verloren haben. Interessant sind hier die Abstimmungsempfehlungen der Solothurner Handelskammer. Einige Beispiele seien genannt: die Volksinitiative für ein flexibles AHVRentenalter empfahl die Solothurner Handelskammer am 30. November 2008 zur Ablehnung. Die Vorlage wurde dann auch abgelehnt. Die Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts empfahl sie am selben Abstimmungstag zur Annahme. Die Vorlage wurde vom Volk abgelehnt. Die Unternehmenssteuerreform, welche am 24. Februar 2008 Steuergeschenke an Aktionäre, die mehr als 10%-Anteile an Firmen besitzen, zum Ziel hatte, empfahl sie zur Annahme. Die Vorlage wurde vom Volk äusserst knapp angenommen. Das Bundesgesetz über die Familienzulagen, welche am 26. November 2006 zur Abstimmung kam, empfahl die Solothurner Handelskammer zur Ablehnung. Die Vorlage wurde angenommen. Die 11. AHV-Revision vom 16. Mai 2004, die erstmals empfindliche Leistungskürzungen zum Ziel hatte, empfahl sie zur Annahme. Die Vorlage wurde abgelehnt.
Die Solothurner Handelskammer und damit deren Direktor und Ständeratskandidat sind tatsächlich reine Wirtschaftsvertreter. Oder anders gesagt, vertritt Fürst die Interessen der «Grossen». Und warum tritt er eigentlich für die CVP und nicht für die FDP an? Denn im Programm von Roland Fürst ist nicht mehr viel CVP drin. Er beantwortet dies auf seinen Webseiten gleich selber: Dort steht schlussendlich, dass der Kanton Solothurn mit seiner Wahl wieder eine ungeteilte Standesstimme erhält. Damit zielt er darauf ab, dass der zweite Ständeratssitz bereits ein FDPler besetzt.
Und was ist mit SVP-Kandidat Roland Borer? Er lässt sich in seinem Ferrari ablichten und zeigt das stolz auf seiner Internetseite. Ob er damit die Ängste derer, die um ihren Job bangen oder ihn bereits verloren haben, verstanden hat, bleibt sein Geheimnis.
Wirtschaftsvertreter der Büezer oder Gewerkschafter?
Roberto Zanetti wiederum ist sich der Wichtigkeit bewusst, die Bedeutung der Begrifflichkeiten greifbar zu machen. Wirtschaftsvertreter sind eben nicht nur Rechte. «Ich störe mich daran, wenn Begriffe monopolisiert werden. Patriotismus gleich SVP, Wirtschaft gleich FDP usw. Man kann zum Beispiel auch als Linker ein Patriot sein, oder dann eben erst recht. Du kannst als Linker grossen Respekt vor den Institutionen, vor der Geschichte und vor der demokratischen Tradition haben. Und als Linker und Gewerkschafter bist du brutal an einer florierenden Wirtschaft interessiert. » Zanetti scheint das ihm attestierte klare Profil als Gewerkschafter denn auch zu ambivalent. Was ist nun ein Wirtschaftsvertreter der Büezer? Zanetti sieht das so: «Ich bin wie der Wirtschaftsvertreter in erster Linie mal daran interessiert, einen möglichst grossen Kuchen zu backen, der möglichst gut dekoriert ist. Was mich dann vom Wirtschaftsvertreter unterscheidet, ist die Frage, wie gross die einzelnen Stücke sind, die jeder erhält.» Der Kuchen, um beim Bild zu bleiben, ist im Falle von Zanetti im Gegensatz zu vielen anderen Politikern nicht blosse Rhetorik. Er hat in seiner Zeit als Regierungsrat grosse und schwierige Kuchen gebacken. Ein solcher steht heute in Härkingen und heisst Briefpostzentrum der Schweizerischen Post. Es kommt halt schon gut an, wenn sich einer für die Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzt. So einen würde man doch sofort wählen. Es ist aber auf der anderen Seite auch allgemein bekannt, dass Politiker gerne schnell mal den Konditorenhut aufsetzen, dann aber nicht wissen, welche Zutaten es für einen Kuchen braucht, geschweige denn, dass sie überhaupt je einen gebacken haben. Was Zanetti hier auszeichnet, ist seine grosse und langjährige Erfahrung als Politiker und dass er vor allem und nachweislich immer ein Schaffer von Arbeitsplätzen war. Sein Kuchenrezept für das Briefpostzentrum:
«Da wo das Zentrum heute steht, war bestes Landwirtschaftsland. Für engagierte Bauern ist jeder Quadratmeter Land weniger eine schlimme Sache. Der Bauer hat einen anderen Bezug zum Boden. Und als kleiner Junge, der seinem Grossvater auf dem Bauernhof geholfen hat, habe ich davor den grössten Respekt. Es ging also darum, dass man 7 Hektaren bestes Land einzonen musste. Ich wurde dann vom landwirtschaftlichen Verein Untergäu nicht eingeladen, sondern vorgeladen. Ich ging hin und sprach Klartext. Ich sagte den Bauern, dass es wahr ist und damit 7 Hektaren bestes Land für die Landwirtschaft verloren gehen würden. Und dass mir das leid tut. Und ich sagte ihnen, dass es wahr ist und sie als Bauern die Lackierten sein würden. Aber es geht um 600 Arbeitsplätze. Gemäss Statistik entspricht ein 20 Hektaren-Betrieb ungefähr einer Arbeitskraft. Für 7 Hektaren würde das den Drittel einer Arbeitskraft bedeuten. Nun haben wir hier ein Projekt, das 600 Arbeitsplätze bringt. Ich sagte weiter, dass die Bauern das mal 3 rechnen müssen, dann haben sie in der Frage der Arbeitsplatzdichte zur Fläche ein Verhältnis von 1:1800. Ich sagte ihnen, dass ich nicht erwarten würde, dass sie darob begeistert sein werden. Aber dass sie sich die Frage stellen sollen, was sie als Volkswirtschaftsdirektoren tun würden. Es geht schlussendlich einfach auch darum, ehrlich zu sein und die Menschen ernst zu nehmen.»
Die Übung bestand dann darin, dass der Kanton Solothurn das Land kaufte und der Post im Baurecht abtrat. Das bedeutete im Anschluss für den Kanton Solothurn mit dem Bau des Postverteilzentrums den Gewinn von 600 Arbeitsplätzen. Weitere Kuchen von Zanetti sind Ypsomed, Jomos, Puma und Synthes.
Zanetti und Von Roll
Er hat sich aber auch dadurch verdient gemacht, den Kuchen aus dem Ofen zu holen, bevor er vollständig verkohlt. So ist die Rettung des heutigen Stahlwerks Gerlafingen dem damaligen Gerlafinger Gemeindepräsident Roberto Zanetti zuzuschreiben. 1996 hat der Luzerner Stahlgigant von Moos die damalige Von Roll gekauft, wollte aber wegen ökologischer Altlasten von Verkauf zurücktreten. Dem Werk drohte die Schliessung. Zanetti dazu: «Damals beim Stahlwerk hatten wir Krisensitzung um Krisensitzung, als die Von Moos vom Kauf zurücktreten wollte. Die Konstellation war schwierig, und irgendwann sagten die Arbeiter, wir stellen aus Protest den Ofen ab. Ich sagte damals, das wäre das Dümmste, weil der Ofen nie wieder in Betrieb genommen würde. Der Gag war also, dass nicht die Büezer streikten, sondern die Arbeitgeber, weil niemand mehr für das Stahlwerk verantwortlich sein wollte. Von Roll hatte verkauft, Von Moos wollte nicht mehr. Wir sagten also, die Arbeiter machten weiter, und die Arbeitgeber streiken. Es kamen laufend Anfragen der Journalisten. Ich sagte dann den Arbeitern, wenn ein Journalist kommt und fragt, was sie machen, dann antwortet: Wir produzieren Stahl. Ohne Chef geht es, aber nicht ohne Büezer. Wir riefen also den Arbeitgeberstreik aus, und das gab eine unheimliche Sympathiewelle für die Büezer, aber auch für das Werk. Es war der Durchbruch». Heute gilt die Stahl Gerlafingen weltweit als eines der saubersten Stahlwerke.
Das Comeback
Den Beweis, dass sich Zanetti für die Wirtschaft brutal einsetzt, wie er selber sagt, hat er zigfach erbracht. Und zurück in der Solothurner Innenstadt höre ich, dass Zanetti Ecken und Kanten hat und nicht ein sturer Parteiheini ist.
Das Kapitel seiner Abwahl als Regierungsrat vor 4 Jahren ist definitiv geschlossen. So gelang ihm in diesem Jahr ein beeindruckendes Comeback auf die politische Bühne: Im Frühling wurde er mit einem Glanzresultat in den Kantonsrat gewählt. Er holte mit weitem Abstand die meisten Stimmen aller Kandidierenden im Kanton Solothurn. Am SP-Parteitag, der am 3. September in Oensingen den Kandidaten für die Ersatzwahl ins Stöckli nominierte, setzte er sich im ersten Wahlgang durch. Jetzt geht es darum, dass Zanetti für die SP am 29. November die Kohlen aus dem Feuer holt. Auflage 13’000 Expl. Herausgeber Gewerkschaftsbund Kanton Solothurn, Dornacherhof 11, 4501 Solothurn Redaktion Claudio Marrari Gestaltung und Layout www.jaeggitschui.ch Druck Ringier Print AG, 6043 Adligenswil