Tagi: Der «rote Röbu» feiert sein Comeback

Der Solothurner SP-Politiker Roberto Zanetti musste 2005 tief unten durch. Doch er hat wieder Fuss gefasst – als Kantonsrat und Ständeratskandidat auch politisch.
2005 schien es, als sei Roberto Zanetti (55), «der rot Röbu» genannt, am Ende. Für seine politische Karriere durfte sich der unkonventionelle SP-Kämpe und Gewerkschafter keine grosse Hoffnung mehr machen. Das Volk hatte den damaligen Regierungsrat nach den Wirren um die Stiftung Pro Facile, deren gutgläubiger Ko-Vizepräsident er war, abgewählt.
Es ging um eine ungereimte Buchführung und um zwei nicht sofort deklarierte Wahlspenden. Später hat die Stiftungsaufsicht Zanettis Unschuld amtlich bestätigt. Er hatte mit seinem Verhalten sogar Anleger vor Schaden bewahrt. Doch damals nützten alle Rechtfertigungen nichts: Das Wahlvolk kündigte dem lebenslustigen Sonnyboy der Solothurner Politik die Liebe.
Vor dem Nichts
Zanetti stand von einem Tag auf den anderen vor dem Nichts. Der Job als Volkswirtschaftsdirektor, den er fürs Leben gern gemacht hatte, war verloren. Zanetti war neun Monate lang arbeitslos. Zanetti war am Boden. Noch heute sprudelt es nur so aus ihm heraus, wenn er sich daran erinnert, wie ihn die Medien damals durch die Gassen hetzten. Doch jetzt steht der SP-Mann wieder in den Startlöchern: Am Sonntag kandidiert Zanetti für den Ständerat. In der Ersatzwahl für seinen politischen Lehrmeister und Freund, den verstorbenen Ernst «Aschi» Leuenberger, stehen seine Chancen nicht schlecht. «50 zu 50», sagt er selber.
Seine beiden bürgerlichen Konkurrenten werden es im Arbeiterkanton Solothurn nicht leichter haben als er, zumal mit Rolf Büttiker (FDP) bereits ein Bürgerlicher im Ständerat sitzt. Handelskammerdirektor und Kantonsrat Roland Fürst (48) von der CVP kam erst ins Rennen, als Nationalrat Pirmin Bischof (CVP) abgewinkt hatte. Der Unternehmer und SVP-Nationalrat Roland Borer (58) wollte schon viermal Regierungsrat werden – bisher erfolglos.
«Einiges schief gelaufen»
Zanetti aber hat Mut geschöpft: Im letzten Frühling wagte er bei den Kantonsratswahlen ein Comeback und liess als 18. und Letzter auf der SP-Liste sämtliche anderen 446 Kandidaten im Kanton weit hinter sich. Er wurde mit 8089 Stimmen gewählt, nannte das Resultat «Balsam für die Seele» und interpretierte es als Erkenntnis der Wählerschaft, dass bei der Abwahl 2005 «einiges schief gelaufen war».
Er sei nicht verbittert, sagt Zanetti heute. Beruflich hat er sich als Geschäftsleiter der Solothurner Suchtberatungsstelle Perspektive längst aufgefangen, politisch ist er wieder am Ball. Doch der Kampf gegen die drohende Resignation hat ihn damals mehr Kraft gekostet, als er zugeben mag. An der landesweiten Demütigung, die er als unverdient empfindet, hat er heute noch zu beissen. Zanetti habe von seiner Leichtfüssigkeit verloren, sagen Politikkollegen. Er sei nachdenklicher geworden, noch gewissenhafter als zuvor – und auch vorsichtiger. Der tiefe Knick in seinem Werdegang hat ihn nicht gebrochen, und kleinkriegen liess er sich noch nie. Im Gegenteil: Zanetti sieht sich weiterhin als Mensch, der die Welt verbessern will – als einer, der sich wehrt, wo andere resignieren. Einen wie ihn, der sich die soziale Gerechtigkeit in den Kopf gesetzt hat, bringe ein Tiefschlag nicht vom Kurs.
Aufgewachsen ist er in Gerlafingen als Sohn eines italienischsprachigen Büezers, der aus dem Puschlav zugewandert und bei Von Roll jahrzehntelang Stahlgiesser war. Zanetti zählte sich stets zur Unterschicht und zeigte sich schon in der Jugend wenig fügsam. Als Schüler musste er dreimal die Klasse wechseln, ein Schuljahr hat er repetiert, zwei Uni-Studien – Ökonomie und Jus – abgebrochen.
Vorbild Willi Ritschard
Als junger Aktivist verteilte Zanetti 1972 Flugblätter für die Initiative für ein Waffenausfuhrverbot – ausgerechnet vor den Toren der Von-Roll-Fabrik, die damals noch Kanonenrohre schmiedete und Arbeitergeberin seines Vaters war. Tief beeindruckt vom nachmaligen Bundesrat Willi Ritschard, den er an einem Seminar als feuriges Vorbild kennenlernte, trat er nach der Abstimmung der SP bei. So emotional wie Ritschard und wie sein Parteikollege Ernst Leuenberger, mit dem er später als Eisen- bahngewerkschafter zusammenarbeitete, wollte er auch politisieren.
Die politische Karriereleiter bestieg Zanetti wie ein wirbelnder Derwisch. Mit 22 Jahren war er bereits Gemeinderat, mit 36 Gemeindepräsident von Gerlafingen. Seine volksnahe Art öffnete ihm Tür und Tor, und die Menschen hörten auf ihn. Zerstrittene Kollegen vermag er bei einem Bier auf die gemeinsame Sache einzuschwören. Im Fussballklub, «der besten Integrationsmaschine überhaupt», ist er Vizepräsident.
Rettete 500 Arbeitsplätze
Ihm verdankt sein Dorf mit mehr als 30 Prozent Ausländeranteil die Rettung von 500 Arbeitsplätzen – ja dass es die Stahl Gerlafingen überhaupt noch gibt. Von Roll wollte das Werk 1996 schliessen. Zanetti ist heute noch stolz, dass er die Bosse davon überzeugen konnte, dass der Import von Massenstahl aus Billiglohnländern wie Tschechien wegen der langen Transportwege nicht günstiger ist.
Solche Erfolge und die Freude, die er daran hat, laden Zanetti auf wie eine Steckdose den Akku. «Politik ist anstrengend, aber ich mache das so gern und freiwillig wie Leute, die auf einen Berg hinaufsteigen, obwohl es eine Seilbahn hat.»
Seine integrative Art hat er sich trotz des Tiefs vor vier Jahren bewahrt. Im «Haifischbecken» des Nationalrats, dem er ab 1999 vier Jahre lang angehörte, fühlte er sich inmitten dogmatischer Grabenkämpfer auch innerhalb der SP-Fraktion nicht mehr wohl. Auf den Ständerat hingegen hat er Lust, «weil dort Argumente noch etwas zählen».
Quelle: Tages Anzeiger vom 27. Februar 2009, Seite 3