Eine Feier ist mehr als bloss ein Fest.

Liebe Leute
Wir haben uns hier zur Bundesfeier versammelt. Eine Feier ist mehr als bloss ein Fest. Bei einer Feier darf es durchaus auch fröhlich zu und her gehen. Wie bei einem Fest. Zusätzlich zur Fröhlichkeit soll aber auch ein bisschen Raum zum Nachdenken und Bilanz ziehen gewährt werden.

Als Politiker überlegt man sich dauernd, was nicht so gut geregelt ist in unserem Land. Aus der Bevölkerung kommen Hinweise auf Unzulänglichkeiten, Bitten um Unterstützung in schwierigen Situationen und gelegentlich erkennt man sogar selber einige Unebenheiten.

Das soll so sein, denn schliesslich sind wir ja gewählt, um Missstände zu beheben und bessere Lösungen anzubieten.

Die Konzentration auf die Behebung von Missständen und die Lösung von Problemen und die gelegentliche Einsicht, dass es keine Patentlösung gibt, birgt die Gefahr in sich, alles nur noch schwarz oder mindestens dunkelgrau zu sehen.

Angesichts der zu beantwortenden Fragen im politischen Tagesgeschäft ist das wohl unvermeidlich. Ich erinnere an die brennendsten aktuellen Fragen: Frankenstärke, Schuldenkrise, Energiewende, Migrationsfrage, Entsolidarisierung der Gesellschaft etc. etc.

Ich will vor diesen grossen und drängenden Problemen nicht die Augen verschliessen Aber ich will heute ganz ausdrücklich auch nicht darauf eingehen.

Als ich für die Bundesfeierrede zugesagt habe, habe ich mir seinerzeit vorgenommen, dereinst ein bisschen zu rühmen und Optimismus zu verbreiten. Ich hatte mir vorgestellt, all das zu loben, was bei uns eigentlich gut funktioniert und den Menschen optimale Voraussetzungen für persönliches Glück und Wohlergehen bietet. Und das ist nicht wenig!

Unter uns gesagt: Bei allen Unzulänglichkeiten und bei aller Kritiklust – eigentlich wohnen wir doch in einem Paradies! Einiges ist uns einfach geschenkt worden und dafür können wir nur dankbar sein. Ich denke an unsere wunderschöne Landschaft, an unser Klima, das vorderhand noch einigermassen menschenverträglich ist und an vieles mehr. Wir alle sind aufgerufen, dazu Sorge zu tragen.

Ein paar andere Sachen haben unsere Vorväter und Vormütter geschaffen. Dafür sind wir unseren Vorfahren zu Dank verpflichtet. Einiges haben wir gar nicht so schlecht erhalten und weiterentwickelt.
Darauf können wir durchaus auch selber ein bisschen stolz sein. Ich denke an Stabilität, Sicherheit und sozialen Ausgleich.
Aber auch da sind wir aufgerufen, zu den Errungenschaften Sorge zu tragen und schlechte Entwicklungen zu erkennen und zu bekämpfen.

Glauben Sie mir, dass ich Ihnen jetzt eine sehr lange Liste toller Sachen unserer Schweiz aufzählen könnte – ohne dabei Unzulänglichkeiten und Probleme zu vergessen. Aber ich muss Ihnen gestehen, dass mich bei der Vorbereitung meiner Rede ein Ereignis umgetrieben hat.  Es hat meine Gedanken geradezu magnetisch angezogen und mich nicht losgelassen. Ich rede vom Vorfall in Norwegen, von Oslo und Utöya!
Wir alle waren schockiert und emotional aufgewühlt von den Nachrichten und Bildern aus Norwegen.

Ich will nicht darüber sinnieren, ob die zunehmende Radikalisierung und Brutalisierung der politischen Debatte (auch bei uns) der Nährboden solcher Verbrechen und Wahnsinnstaten ist. Ich bin mir sicher, dass dem so ist. Aber es ist nicht der Ort und noch nicht die Zeit, die Frage hier und jetzt zu diskutieren. Ich will auch nicht, wie die zahllosen vermeintlichen und unvermeidlichen Experten, darüber spekulieren, ob so was bei uns auch möglich wäre.
Man muss ja wirklich kein Experte sein, um die Frage beantworten zu können. Selbstverständlich wäre so etwas leider auch bei uns möglich. Auch in einer freiheitlichen, pluralistischen und rechtstaatlich organisierten Gesellschaft gibt es Extremisten, Verbrecher und Irre.
Und gerade in einer freiheitlichen, pluralistischen und rechtstaatlich organisierten Gesellschaft ist es ausserordentlich schwierig, solche zu erkennen und unschädlich zu machen. Die Frage, die ich mir im Zusammenhang mit den Vorfällen in Norwegen immer wieder stelle, lautet: Würde die Schweizerische Bevölkerung ebenso grossartig reagieren, wie die Norwegische Bevölkerung? Auch in der tiefsten Trauer widerstehen die Norweger dem Hass. Norwegen ist unendlich traurig und weint. Doch niemand sinnt auf Rache, niemand sucht einfache Erklärungen. Statt Vergeltung wollen die Norweger jetzt noch mehr Humanität, noch mehr Demokratie. Es wird auch nicht in Selbstzerfleischung gemacht und besserwisserisch nach möglichen Versäumnissen geschnüffelt. Dafür wird später Zeit sein. Wahrhaftig ein tapferes und weises Volk, die Norwegerinnen und Norweger!

Und gäbe es in der Schweiz eine politische Persönlichkeit, die die Grundwerte unserer Gesellschaft in einer so extrem schwierigen Situation ebenso überzeugt und überzeugend verteidigen könnte, wie der norwegische Ministerpräsident Stoltenberg oder der norwegische Kronprinz Haakon? Ministerpräsident Stoltenberg hat Sätze gesprochen, die Wunden geheilt und Seelen getröstet haben.

Zwei Zitate seine mir erlaubt:
„Ihr werdet unsere Demokratie und unser Engagement für eine bessere Welt nicht zerstören.“
Und weiter:
„Die Antwort auf Gewalt ist mehr Demokratie, mehr Toleranz, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit, aber nicht mehr Naivität. (…) Niemand wird uns durch Bomben zum Schweigen bringen, niemand wird uns durch Schüsse zum Schweigen bringen.“
Damit ist alles gesagt: Keine Rachegelüste, kein Hass, keine ausweglose Verzweiflung! Sondern ein Programm der Hoffnung, hinter dem alle Demokratinnen und Demokraten, Linke und Rechte Demokratinnen und Demokraten stehen können und stehen müssen.

Kronprinz Haakon hat anlässlich einer riesigen Trauerkundgebung in Oslo folgendes gesagt: „Wir wollen ein Norwegen, in dem wir zusammenleben in einer Gemeinschaft; mit der Freiheit, Meinungen zu haben und uns zu äussern.  In der wir Unterschiede als Möglichkeiten sehen. In der Freiheit stärker ist als Angst. Heute Abend sind die Straßen mit Liebe gefüllt.“ Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen!
Aber es bleibt die Frage, ob wir Schweizerinnen und Schweizer ebenso tapfer und weise reagieren würden und ob unsere Staatsspitzen ebenso einfühlsam und tröstend agieren würden.
Ich kann die Frage nicht beantworten. Und ich hoffe aus ganzem Herzen, dass uns die Zukunft die Beantwortung dieser Frage erspart – in dem wir von solch schrecklichen Ereignissen verschont bleiben.
Nicht weil wir besser sind, sondern ganz einfach weil wir ein bisschen mehr Glück haben oder die Vorsehung es gut meint mit uns.
Aber die Frage bleibt im Raum!

In diesem Sinne ist die diesjährige Bundesfeier auch ein bisschen ein norwegischer Nationalfeiertag. Ich fühle mich jedenfalls mit dem norwegischen Volk tief verbunden und solidarisch. Norwegen und die Norwegerinnen und Norweger können und sollen uns Vorbild sein.

Ich wünsche Ihnen allen eine besinnliche und schlussendlich doch auch fröhliche Bundesfeier.

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