Zanetti, der Sozialdemokrat mit liberalen Adern

Roberto Zanetti stellt sich am 23. Oktober zur Wiederwahl. «Dr Röbu» über seine Verbundenheit zu den Menschen vor Ort und über das Privileg, Single und gleichzeitig ein geselliger Mensch zu sein. von Marco Zwahlen
«Sali Röbu» – «Ciao Ruedi» – Es ist wie immer, wenn Roberto Zanetti am Abend an einem seiner Lieblingsorte in Gerlafingen wie dem Waldegg-Pub am Tisch sitzt. Er ist nicht der Ständerat, sondern einfach «dr Röbu». Fast jeder, der während des Interviews mit dieser Zeitung am Tisch vorbeiläuft, grüsst herzlich. «Das war schon immer so», sagt Zanetti. Wie häufig kommt er direkt von einer ständerätlichen Kommissionssitzung.
Ein Indiz dafür: Er trägt Anzug, Hemd und Krawatte. Eine rote Krawatte, geschmückt mit Edelweiss, «die ich im Bündnerland von einem Wirt geschenkt bekam», so der Sozialdemokrat stolz. Nach Graubünden, konkret ins Puschlav ziehts Zanetti so oft wie möglich: Seine 86-jährige Mutter lebt dort.
Entspannung mit Freunden
Ins Waldegg-Pub oder auch ins Centro Italiano kommt Zanetti sehr gerne, weil er dort, ohne abgemacht zu haben, immer Freunde oder Kollegen antrifft. Zu Hause wartet niemand auf den 56-Jährigen: «Das ist gut so. Irgendwann stellte ich fest, dass mein politisches Engagement mit der hohen zeitlichen Beanspruchung keine gute Voraussetzung für eine funktionierende Zweierbeziehung ist», so Zanetti. Die Vorstellung, nach einem hektischen Tag einer Liebsten, die an seinem Leben teilhaben möchte, erzählen zu müssen, was er den lieben langen Tag alles gemacht habe, «würde mich ziemlich stressen».
Seine Freiheit aufgrund seiner Lebenssituation empfindet der Gerlafinger als Privileg. Zanetti liebt die Geselligkeit. Mit Freunden findet er Entspannung. Politisiert wird dabei aber eher selten: «Meistens setze ich mich an den Stammtisch, wir reden über ganz alttägliche Dinge. Oft höre ich aber nur zu, auch wenn es um Politik geht. Einfach so, als einer in der geselligen Runde.»
Es handle sich auch nicht um eine Art Ritual, solche habe er gar nicht. «Doch», kommt Zanetti in den Sinn, «seit einigen Monaten habe ich mir angewöhnt, wenn ich nach Hause komme, die Wohnungstüre ganz bewusst abzuschliessen.» Dann sei er in seinen vier Wänden ganz privat – ganz bewusst.
Probleme ohne Spektakel lösen
Spricht Zanetti über Politik, spürt man seine Leidenschaft. Politisiert wurde der Sohn eines Von-Roll-Arbeiters aus dem Puschlav mit 18 Jahren. Damals, 1972, war die Waffenausfuhrinitiative Thema im Land, die Rüstungsindustrie sollte kontrolliert, die Waffenausfuhr verboten werden. Roberto Zanetti war Kanti-Schüler. Die SP hielt ihre Versammlung jeweils im ersten Stock des Restaurants Grünau (heute «Boccia») ab.
«Der Mut der damaligen Von-Roll-Büezer beeindruckt mich heute noch. Tagsüber schmiedeten sie Kanonenrohre, abends kamen sie an die SP-Versammlung, um für die Initiative zu stimmen, obwohl sie Repressionen befürchten mussten. «Denn», so der Ständerat weiter, «im Parterre des Restaurants kontrollierten Abgesandte der Von-Roll-Direktion genau, wer an die Versammlung kam.» Zu den Stahlbaronen von damals sagt er aber auch. «Sie bestimmten zwar fast alles im Dorf, aber als Patrons waren sie sich ihrer sozialen Verantwortung sehr wohl bewusst.»
Hart mit einer «Abwahl» bestraft worden
Mut bewies Zanetti, als er sich nach dem Tod seines politischen Ziehvaters Ernst «Aschi» Leuenberger 2009 einer Kandidatur als Ständerat zur Ersatzwahl stellte. Vier Jahre zuvor war er im Zuge der «Pro-Facile-Affäre» bei den Gesamterneuerungswahlen des Solothurner Regierungsrates mit der «Abwahl» hart bestraft worden, nachdem er 2003 bei einer Ersatzwahl den Sprung in die Regierung geschafft hatte. Auf die Frage hin, ob er nicht Angst davor habe, seinen Job erneut zu verlieren, wird Zanetti nachdenklich: «Angst habe ich nicht. Die Ausgangslage ist spannend und alles ist möglich.
Ich hoffe aber, dass sich mein Schicksal nicht wiederholt.» Im «Stöckli» schätzt der Vollblutpolitiker vor allem eines: «Es zählen Resultate statt das Spektakel, die Problemlösung nicht die Problembewirtschaftung. Die Auseinandersetzungen sind sachorientiert.» So gelte es im Ständerat als verpönt, Parteizugehörigkeiten zu nennen, schliesslich wisse man ja, woher die Kolleginnen und Kollegen kommen.
Zanetti selbst akzeptiert andere Meinungen nicht nur, er versucht diese auch zu verstehen. «Der Linke sagt, geht es der Gesellschaft gut, gehts auch jedem Einzelnen gut. Der Liberale sagt, gehts jedem einzelnen gut, gehts auch der Gesellschaft gut.» Er spiele diese Gegensätze gedanklich oft durch und verstehe dann, warum man zu einem anderen Schluss kommen könne, als die SP. So könne er versuchen, Brücken zu bauen.
Die Sache mit dem Ritual
Nach zwei Bierchen und guten Gesprächen ist auch im Waldegg-Pub langsam Schluss. Die Runde löst sich auf. «Ciao Ruedi» und «Ciao Marco», verabschiedet sich «Röbu» und geht nach Hause. Dort wird er die Wohnungtür abschliessen – ganz bewusst.
Quelle: solothurnerzeitung.ch