FS13: Alkoholgesetz. Totalrevision

Zanetti Roberto (S, SO): Ich habe in der Sache keine Interessenbindungen bekanntzugeben, ich will Ihnen aber meine Interessenlage bekanntgeben: Ich bin kein Kind von Traurigkeit, und wenn man von mir eine Fiche erstellen würde, wäre es falsch, wenn es dort heissen würde „trinkt öfter gern ein Bier“; gelegentlich können es durchaus zwei oder drei sein. Eine weitere Bindung, die mich zu diesem Thema sprechen lässt, ist die folgende: Ich bin Präsident des Polizeibeamtenverbandes des Kantons Solothurn; ein Vertreter des schweizerischen Verbandes hat sich gestern in der Öffentlichkeit geäussert. Zudem war ich bis vor einem Jahr Mitarbeiter einer regionalen Suchthilfeinstitution.
Sie sehen bereits da ein gewisses Spannungsverhältnis. Ich will keinen prohibitiven Staat, ich will keine lustfeindliche Mönchsrepublik, trotzdem sehe ich einen gewissen Handlungsbedarf. Ich bin der Meinung, dass Alkohol in erster Linie ein Genussmittel ist. Wo es um Genuss und Lustgewinn geht, soll sich der Staat heraushalten, er soll Genuss ermöglichen, wenn nicht sogar fördern. Alkohol kann aber auch ein Suchtmittel sein. In einem Schreiben der Westschweizer Regierungskonferenz lesen wir, dass in der Schweiz 250 000 Menschen alkoholabhängig sind. Rechnen Sie zu jedem Alkoholabhängigen noch Angehörige, seien es Kinder, Partnerinnen, Partner, Eltern, dann kommen Sie auf eine enorme Zahl von Co-Abhängigen; das ist die Umschreibung von Menschen, die indirekt mit Abhängigkeitsproblemen konfrontiert sind. Wir sehen also, dass hier in Bezug auf Suchtabhängige ein riesiges Problem besteht. Weiter stellen wir in letzter Zeit einen zunehmend risikoreichen Konsum von gewissen Substanzen fest. Die Grenzen sind denn auch fliessend.
Da bin ich der Meinung, dass der Staat gefordert ist. Er ist erst recht gefordert, wenn es Kinder und Jugendliche betrifft. In Artikel 11 der Bundesverfassung wird auf Kinder und Jugendliche Bezug genommen. Absatz 1 lautet: „Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung.“ Es geht nicht darum, dass sie nicht behelligt werden sollen, vielmehr muss der Staat sie aktiv schützen. Das ist für mich der zentrale Punkt dieser ganzen Gesetzgebung. Wir haben in der Botschaft gelesen, und ein paar Vorredner haben es auch erwähnt, dass der Alkoholkonsum in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Das ist grundsätzlich erfreulich, es zeigt aber auch das Problem der Durchschnittszahlen.
Wenn der durchschnittliche Alkoholkonsum zurückgeht, ist das erfreulich, aber in Einzelfällen sind wir trotzdem noch mit diesen Problemen konfrontiert. Ich habe die 250 000 Alkoholabhängigen erwähnt, ich habe die Koabhängigen erwähnt. Ich denke an Phänomene, die in letzter Zeit auch in den Medien dargestellt worden sind, z. B. jugendliche Komatrinker, die sich wirklich in die Bewusstlosigkeit trinken. Kollege Levrat hat ein regionales Spital erwähnt. Wir haben in einer Fernsehsendung gesehen, dass in einem Spital in St. Gallen pro Wochenende zwischen fünf und zehn Jugendliche als medizinische Notfälle eingeliefert werden müssen.
Im Schreiben der Westschweizer Regierungskonferenz ist die Rede davon, dass pro Tag durchschnittlich sechs Jugendliche eingeliefert werden müssen. Das muss uns alarmieren, und da muss der Staat handeln. Auch wenn ich bei den Genussmitteln für eine zurückhaltende staatliche Aktivität bin: Hier geht es um die Suchtproblematik und nicht um Genussfragen. Da muss der Staat etwas machen.
Was kann der Staat machen? Die nobelste Aufgabe ist zweifellos die Prävention. Prävention wird in den Kantonen und in den Regionen gemacht, und das braucht halt auch ein bisschen Geld. Aufgrund neuer Berechnungsgrundlagen werden diese Gelder, also der Alkoholzehntel, der für die Prävention zur Verfügung steht, zurückgehen. Ich finde das falsch. Wir müssen den Kantonen diese Mittel garantieren können. Da aber der Alkoholzehntel, die 10 Prozent, in der Verfassung festgeschrieben ist, müssen wir wohl den Steuersatz erhöhen. Entsprechende Anträge sind gestellt worden und werden in der Detailberatung zweifellos erläutert werden.
Dann muss aber auch der Konsum reduziert werden, insbesondere der risikoreiche Konsum bei Kindern und Jugendlichen. Wie kann das geschehen? Eigentlich sagt es einem ja der gesunde Menschenverstand: Ein Element ist der Preis. Jugendliche und Kinder, die ja sowieso gar nicht zu Alkohol kommen sollten, reagieren relativ sensibel auf Preisänderungen. Wenn an der Tankstelle für 8 oder 9 Franken ausländischer Billigstfusel gekauft werden kann, dann wirkt das nicht besonders abschreckend. Deshalb ist der Antrag auf die Festlegung von Mindestpreisen gestellt worden, auf den wir in der Detailberatung zurückkommen werden. Das ist sicher ein verheissungsvoller und erfolgversprechender Weg.
Es geht weiter darum, die Erhältlichkeit von Alkohol einzuschränken. Wenn Sie etwas nicht kaufen können, können Sie es auch nicht konsumieren. Deshalb scheint mir die Einschränkung der Erhältlichkeit von Alkohol, die auch ziemlich umstritten ist, eigentlich das Vernünftigste der Welt zu sein. Wenn Sie wollen, dass eine Substanz nicht konsumiert wird, sollte man sie nicht rund um die Uhr und unter allzu einfachen Bedingungen erhalten können. Deshalb machen Einschränkungen beim Alkoholverkauf und Einschränkungen des Kreises von Personen, die überhaupt Alkohol kaufen können, absolut Sinn. Deshalb sollte die Einhaltung der Altersgrenze – es geht um die Grenzen von 16 und 18 Jahren – kontrolliert werden können, und dafür müssen wir in Gottes Namen auf das Mittel von Testkäufen zurückgreifen können.
Für mich sind also die zeitlichen Einschränkungen sowie die preislichen Möglichkeiten die zielführenden Wege. Darauf müssen wir bestehen, sonst ist es tatsächlich ein Alkoholismusförderungsgesetz und nicht ein Gesetz, das der öffentlichen Hand die Möglichkeit gibt, risikoreiches Verhalten zu verhindern. Ich werde mir erlauben, im Verlaufe der Detailberatung noch den einen oder anderen Punkt anzuschneiden. Wenn ich meine Meinung zusammenfassen darf, würde ich sagen: Ich will Restriktion statt Prohibition.
Ich habe für mich anlässlich der ganzen Vorbereitung und Behandlung des Geschäftes eine kleine Gedankenübung gemacht. Ich möchte Ihnen – und insbesondere meinem Kollegen Peter Föhn -, wärmstens ans Herz legen, diese kleine Gedankenübung ebenfalls zu machen. Ich habe nämlich die Begriffe „alkoholische Getränke“ und „Spirituosen“ durch den Begriff „Cannabis“ ersetzt und habe geschaut, ob es für mich dann immer noch kohärent ist. Ich bin für eine Liberalisierung des Cannabiskonsums. Ich bin aber nicht der Meinung, dass Cannabis zu Dumpingpreisen, rund um die Uhr und an Kinder abgegeben werden sollte. Machen auch Sie diesen Test, dann sehen Sie, ob Ihre Haltung in dieser Frage einigermassen kohärent ist. Ich habe Mühe, wenn Leute bei Alkohol dafür eintreten, alle Schleusen zu öffnen, während sie, wenn es um ein „Jointli“ geht, den Teufel an die Wand malen. Versuchen Sie da also auch ein bisschen kohärent zu sein, damit wir auch für die Jugendlichen ein Vorbild sein können.
Heute können wir in der „NZZ“ lesen, dass das, was wir heute zu machen im Begriff sind, ein schlechtes Bild unseres Staates abgibt. Ich muss an die Adresse der „NZZ“ sagen: Wenn ihr Freiheitsbegriff sich darin erschöpft, dass man rund um die Uhr Billigstfusel erwerben kann, ist dies meines Erachtens ein ziemlich kümmerlicher Freiheitsbegriff; für mich ist der Begriff „Freiheit“ mit mehr Inhalt gefüllt.
Ich beantrage Ihnen deshalb Eintreten auf beide Gesetze. In der Detailberatung sollten wir unsere Beschlüsse nach dem Motto „Restriktion statt Prohibition“ fassen und uns ernsthaft um das Problem kümmern. Wir müssen unsere Verantwortung gegenüber den Jugendlichen und Kindern wahrnehmen. Wir müssen uns wirklich darum kümmern. Ich verweise auf Artikel 11 der Bundesverfassung, auf einen Artikel, der immerhin unter den Grundrechten aufgeführt ist.

Zanetti Roberto (S, SO): Die Kollegen Baumann und Föhn haben aus einem Brief der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände zitiert. Ich fasse kurz zusammen, was in einem Brief der Nationalen Arbeitsgemeinschaft Suchtpolitik (NAS) steht. Sie sagt, man solle bei den Lockvogelangeboten der Minderheit Recordon, also dem bundesrätlichen Entwurf, zustimmen; man solle beim Nachtregime dem Antrag der Kommissionsmehrheit, also dem bundesrätlichen Entwurf, zustimmen. Eine Mitgliederorganisation der NAS ist auch die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände. Jetzt können Sie selber entscheiden, welche Version der Stellungnahme der Jugendverbände Sie als verbindlich anschauen wollen. Sie sehen: Auch andere Leute sind nicht ganz frei von Widersprüchen. Sich aber auf die Jugendverbände beziehen zu wollen, um da irgendwelche Regimes wieder pulverisieren zu können, ist relativ heikel, weil dieser Verband offenbar beide Positionen vertritt.
Nur schnell noch etwas zur Übernahme von Verantwortung: Ich hatte auch meine wilde Jugendzeit. Zum Erwachsenwerden gehörte auch dazu, Grenzen zu sprengen. Aber dazu müssen eben Grenzen gesetzt sein. Ich schliesse nicht aus, dass Jugendliche dann vorbunkern oder was auch immer. Doch je weiter entfernt die Grenze gesetzt wird, umso weiter muss man gehen, um diese Grenze sprengen zu können. Am Schluss ist es eben die Einlieferung in die Notaufnahme des Spitals; das ist dann die einzige Möglichkeit, um die Gesellschaft, das Establishment und die eigenen Eltern noch schockieren zu können. Da plädiere ich also für engere Grenzen, damit man mit weniger Risiko Grenzen sprengen kann. Das ist ein Privileg der Jugend, das ich ihr nicht nehmen will. Jedenfalls sollte das nicht unter Hochrisikobedingungen passieren müssen.

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