HS13: Für den Schutz fairer Löhne (Mindestlohn-Initiative). Volksinitiative

Zanetti Roberto (S, SO): Es ist schwierig, nach einer so getragenen „Predigt“ von „Pater Peter“ ganz profan noch etwas zu sagen. Jedoch ist mir zumindest ein Element in Erinnerung geblieben: der Spezialfall des jungen Mannes mit, sagen wir mal, ein bisschen beschränkter Leistungsfähigkeit. Genau an diesen Fall hat das Initiativkomitee gedacht, indem im zweiten Satz von Artikel 110a Absatz 3 der Bundesverfassung stehen soll: „Der Bund kann für besondere Arbeitsverhältnisse Ausnahmeregelungen erlassen.“ Das wäre zweifellos ein solches Ausnahme-Arbeitsverhältnis.
Dann hat Peter Föhn noch gesagt, dass man die Armut mit Erwerbstätigkeit bekämpfen soll. Da würde ich sagen: Jawohl, absolut einverstanden. Der Bundesrat hat denn auch in der Botschaft gesagt: „Das Lohnniveau ist dabei ein ausschlaggebender Faktor zur Erklärung der Erwerbsbeteiligung. Aufgrund des aktuellen Lohnniveaus in der Schweiz ist ein grosser Teil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter motiviert, am Arbeitsmarkt teilzunehmen.“ Der Bundesrat sagt also, dass offensichtlich das Lohnniveau Auswirkungen auf die Motivation der Beschäftigten hat.
Ich will nicht alles wiederholen, was bereits gesagt worden ist. Vor allem will ich nicht alles widerlegen, was falsch gesagt worden ist. Es wäre zu viel und würde den zeitlichen Rahmen sprengen. Immerhin, in einem könnten wir uns einig sein: Wer Vollzeit arbeitet, soll davon grundsätzlich anständig leben können. Vollzeit zu arbeiten und nicht davon leben zu können, hat etwas aus meiner Sicht Entwürdigendes; das wirkt doch auch demotivierend, wie das der Bundesrat, wenn auch umgekehrt formuliert – er schreibt, anständige Löhne wirkten motivierend -, in der Botschaft geschrieben hat. Ein existenzsichernder Lohn ist deshalb nicht bloss eine Frage der Gerechtigkeit, der Fairness und der Würde, sondern insbesondere auch eine Frage der ökonomischen Vernunft. Er ist erst noch Ausfluss des liberalen Postulates, wonach sich Leistung lohnen muss.
Ein existenzsichernder Lohn ist für mich gewissermassen das Salz in der Suppe einer Leistungsgesellschaft. Wie es von Kollegin Keller-Sutter und von Kollegin Fetz gesagt worden ist, ist der Lohn eigentlich nichts anderes als der Preis der Arbeit. Preise bilden sich ja bekanntlich am Markt. Wir haben alle mal gelernt, dass Markt zwar ein wirkungsvolles System zur Allokation von Ressourcen ist, dass Markt aber nicht per se etwas Gerechtes sein muss. Wo sich Gerechtigkeitslücken auftun, sind wir als Politiker gefordert, diese Gerechtigkeitslücken zu schliessen. Es ist für mich die nobelste Aufgabe der Politik, Gerechtigkeit herzustellen.
Wenn ich bei diesem Punkt, den gerechten Löhnen, Möglichkeiten sehe, ein bisschen mehr Gerechtigkeit herzustellen, dann muss ich diese Gelegenheit beim Schopf packen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich hätte gerne eine Alternative gehabt, die es ermöglicht hätte, dass wir gemeinsam diese Gerechtigkeitslücke mit einem cleveren direkten oder indirekten Gegenvorschlag hätten schliessen können. Das ist leider nicht möglich gewesen. Jetzt stehen wir da: einerseits die Bannerträger des Markts und anderseits die Apologeten für Gerechtigkeit und Würde. Wir stehen uns gegenüber, als ob wir überhaupt keine Gemeinsamkeiten hätten. Ich glaube, das ist falsch. Wir hätten grundsätzlich eine Schnittmenge, die wir genauer hätten anschauen sollen; aufgrund dieser Schnittmenge hätten wir auch gemeinsam nach Lösungen suchen können. Ich bedaure es wirklich ausserordentlich, dass das nicht möglich gewesen ist – sei es drum.
Mir geht es wie Kollegin Anita Fetz: Ich kann wirklich frohen Mutes und mit tiefer Überzeugung für die vorliegende Initiative auf die Barrikaden gehen. Ich weiss nämlich genau, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in unserem Land ein sehr feines Sensorium für Fairness und Gerechtigkeit haben.
Ich weiss auch, dass all die Untergangsszenarien, die da gezeichnet werden, nicht zutreffend sind. Was immer wieder aufgezählt worden ist, ist die Sogwirkung auf ausländische Personen. Es mag sein, dass höhere Mindestlöhne eine gewisse Sogwirkung haben. Aber wenn die These des Bundesrates stimmt, wonach gute Löhne die Erwerbsbeteiligung erhöhen, dann entsteht auch ein Gegendruck von innen. Damit kann allenfalls dieser Effekt aufgefangen werden.
Es geht auch noch um eine quantitative Betrachtungsweise – ich sage dies, damit man sieht, dass mit der Annahme der Initiative kein ökonomischer Erdrutsch erfolgen würde. Ich zitiere auch aus der Botschaft des Bundesrates. Auf Seite 1237 stellt der Bundesrat ein paar Zahlen in den Raum, und zwar auf der Basis des Jahres 2010.
Der Bundesrat geht von rund 390 000 Arbeitsplätzen aus, bei denen ein Lohn unter 22 Franken bezahlt wird, nämlich ein Durchschnittslohn von rund 19 Franken innerhalb dieses Tieflohnbereichs. Wenn wir also diese 390 000 Beschäftigten mal 3 Franken Differenz zum anvisierten Mindestlohn mal 42 Stunden pro Woche mal 52 Wochen rechnen, kommen wir auf rund 2,5 Milliarden Franken, die da fehlen. Das ist die Differenz von den durchschnittlichen Tieflöhnen zu den Mindestlöhnen. Da würden also rund 2,5 Milliarden Franken fehlen.
Diese 2,5 Milliarden Franken entsprechen rund 0,8 Prozent der Gesamtlohnsumme in der Schweiz oder rund 0,4 Prozent des BIP. Ich muss Ihnen sagen, wenn man diese Manövriermasse ein bisschen umschichten würde, also die Allokation der Mittel ein bisschen optimieren würde, dann passierte kein ökonomisches Unglück. Ich nenne einfach eine Vergleichszahl: In den Jahren zwischen 2005 und 2010 hat allein die UBS – und das waren ja nicht die fettesten Jahre, die diese Bank gekannt hat – jährlich durchschnittlich 6,9 Milliarden Franken Boni ausbezahlt. Da nehmen sich die 2,5 Milliarden, die man in die Tieflohnbranchen stecken würde, ziemlich bescheiden aus.
Deshalb kann ich diese Initiative mit Überzeugung zur Annahme empfehlen, und ich sehe auch kein Problem für den Wirtschaftsstandort Schweiz, im Gegenteil: Er würde ein klein wenig gerechter, und damit würden auch die Teilnehmenden am Erwerbsleben stärker motiviert.

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