Ständerat bremst Bauern-Lobby beim Abschaffung von Cassis-de-Dijon

In der EU hergestellte Lebensmittel sollen in der Schweiz weiterhin verkauft werden dürfen, auch wenn sie Schweizer Standards nicht erfüllen. Der Ständerat lehnt es ab, das Cassis-de-Dijon-Prinzip für Lebensmittel wieder aufzuheben. Bericht in der Solothurner Zeitung Online… 

Parlamentarische Initiative von Bourgeois Jacques: „Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse. Lebensmittel vom Cassis-de-Dijon-Prinzip ausnehmen“

Roberto Zanetti am 16. Juni 15 im Ständerat: „Das Wichtigste vorneweg: Die WAK des Ständerates beantragt Ihnen mit 7 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung, auf das Geschäft nicht einzutreten.
Zuerst einmal zur Entstehungsgeschichte: Die strittigen Vorschriften des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse – Cassis-de-Dijon-Prinzip – traten am 1. Juli 2010 in Kraft. Dabei wurden allerdings für Lebensmittel relativ hohe Hürden gesetzt, es bedarf einer Bewilligungsfrist usw. Bereits ein paar Monate später, nämlich am 17. Dezember des gleichen Jahres, reichte Herr Nationalrat Bourgeois seine parlamentarische Initiative ein. Herr Bourgeois, das sei der Transparenz halber gesagt, ist seines Zeichens Direktor des Bauernverbandes.
Die WAK des Nationalrates gab der Initiative im November 2011 mit 13 zu 12 Stimmen Folge. Unsere WAK stimmte ihr in der ersten Runde im Januar 2012 ebenfalls relativ knapp, mit 6 zu 5 Stimmen, zu. Der Vorentwurf der WAK-NR, der daraufhin erstellt wurde, wurde im Mai 2014 mit 15 zu 10 Stimmen in die Vernehmlassung geschickt. Am 20. Oktober 2014 wertete die WAK des Nationalrates die Vernehmlassungsergebnisse aus und verabschiedete die entsprechend bereinigte Vorlage zuhanden des Nationalratsplenums.
Der Bundesrat beantragt in seiner Stellungnahme vom 21. Januar 2015 Nichteintreten.
Der Nationalrat ist dann allerdings während der Sondersession am 6. Mai 2015 auf die Vorlage eingetreten und hat ihr mit 109 zu 65 Stimmen zugestimmt. In der WAK unseres Rates haben wir das Geschäft anlässlich der Sitzung vom 19. Mai 2015 behandelt und dabei den Vertreter der WAK-NR, Herrn Nationalrat Ritter, angehört. Herr Ritter, auch das sei erwähnt, ist bekanntlich Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes.
Der Vertreter der WAK-NR hat mehrere Punkte aufgeführt, die die nationalrätliche Kommission und dann auch das Ratsplenum dazu geführt haben, das Geschäft entsprechend zu verabschieden. Bemängelt wurde, dass dieses Cassis-de-Dijon-Prinzip einseitig sei, also eine Einbahnstrasse darstelle. Es gilt für EU-Produkte, die in die Schweiz eingeführt werden, nicht aber für schweizerische Produkte, die in die EU gehen. Dann hat er den bürokratischen Vollzug dieser Vorschriften bei Bund und Kantonen bemängelt. Er hat auch angeführt, dass dieses Prinzip zu einem Sinken der Qualität führen könne. Er hat zudem erwähnt, dass nur eine bescheidene Wirkung auf die Preise erfolgt sei und dass Konsumentinnen und Konsumenten allenfalls getäuscht werden könnten. Ich gehe davon aus, dass der Minderheitsvertreter diese Kritikpunkte dann noch im Detail ausführen wird.
Die Mehrheit unserer Kommission hat das naturgegeben etwas anders gesehen. Bezüglich der Einseitigkeit dieser Regelung, dass mit ihr also nur aus dem EU-Raum in die Schweiz, aber nicht von der Schweiz in den EU-Raum gewirkt werden kann, muss man Folgendes sagen: Das ist seinerzeit bewusst so gewollt worden. Man hat sich damit offenbar auch bessere Positionen in anderen Verhandlungsbereichen versprochen. Wenn man dies nun abändert, auch einseitig abändert, dann, so vermutet die Kommissionsmehrheit, könnten da Kollateralschäden entstehen; ich komme nochmals darauf zurück.
Zum bürokratischen Vollzug: Der bürokratische Vollzug liegt nicht am Prinzip an und für sich, sondern an den gewollten Ausnahmen und – man kann fast sagen – Schikanen, mit denen dieses Prinzip versehen worden ist. Wenn man das ändern will, muss man nicht das Prinzip ausser Kraft setzen, sondern dann muss man diese Hürden und Schikanen aus der Welt schaffen. Gelegentlich hört man ja aus den gleichen oder aus ähnlichen Kreisen, dass der Vollzug der Direktzahlungen relativ bürokratisch und aufwendig sei. Es käme aber niemandem in den Sinn, die Direktzahlungen abzuschaffen, sondern man fordert einfach die Beseitigung administrativer Hürden. Das Gleiche müsste man hier machen. Der Grund für diese bürokratischen Hürden und Schikanen liegt also nicht im Prinzip, sondern in den damals gewollten Ausnahmen.
Zur sinkenden Qualität der Importe: Die Mehrheit der Kommission sieht darin eher ein Alleinstellungsmerkmal für schweizerische Produkte. Die schweizerischen Landwirtschaftsprodukte werden nie und nimmer im Preiswettbewerb, sondern lediglich im Qualitätswettbewerb mithalten können. Wenn nun tatsächlich qualitativ minderwertigere Produkte aus dem Ausland auf dem Markt erscheinen, dann scheint das der Mehrheit der Kommission eher ein Vorteil für die inländische Produktion und insbesondere ein Katalysator zu sein, um mit dieser Qualitätsstrategie weiterzufahren. In einem abgeschotteten Markt, wo keine Konkurrenz stattfindet, ist man nicht besonders motiviert, hervorragende Qualität zu produzieren, weil man ja eben keine Konkurrenz hat. Ich glaube deshalb, dass das eher dazu führen kann, dass sich die schweizerische Landwirtschaftsproduktion eben durch diese Qualität speziell auszeichnen kann.
Im Übrigen gehen wir bei der Qualität davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger, die Konsumentinnen und Konsumenten mündig sind. Es wird ja immer das Beispiel eines Himbeersirups angeführt, wo das EU-Produkt weniger Fruchtanteil und offenbar mehr Wasser enthält. Gut, ich kaufe nicht ausgesprochen häufig Himbeersirup ein, aber da kann ich selber entscheiden, ob ich das billigere ausländische Produkt will, das halt weniger Qualität oder Geschmack hat, oder ob ich das schweizerische Produkt nehmen will. Diesen Entscheid können wir den Bürgerinnen und Bürgern überlassen: Wie sie an der Urne über sehr komplexe Sachen entscheiden können, können sie auch im Warenhausregal über mehr oder mehr weniger Qualität entscheiden. Im Übrigen gibt es auch Gegenbeispiele – ich glaube, bei der Eiscreme ist es so -, dass die ausländischen Vorschriften ein bisschen strenger sind als die inländischen. Da kann durchaus auch ein gesunder Wettbewerb bezüglich Qualitätsstrategie stattfinden.
Zum Einwand der bescheidenen Preiswirkung: Es stimmt tatsächlich, dass keine Preiserosion festzustellen war. Immerhin ist es in solchen Situationen jeweils relativ schwierig zu beweisen, wie es anders herum gewesen wäre, wenn wir kein Cassis-de-Dijon-Prinzip gehabt hätten: Wären dann vielleicht die Preissteigerungen nicht noch ausgeprägter ausgefallen? Diesen Gegenbeweis kann man also nicht erbringen. Immerhin geht die Mehrheit der Kommission davon aus, dass dieses Prinzip auch eine gewisse präventive Wirkung auf die Preisgestaltung inländischer Produkte hat: Wenn man weiss, dass da ausländische Konkurrenz vor der Tür steht, verhält man sich vielleicht bei der Preisgestaltung ein bisschen zurückhaltender.
Ich komme zum Einwand der möglichen Konsumentinnen- und Konsumententäuschung: Dieser Einwand ist tatsächlich nicht ganz von der Hand zu weisen, das ist auch vom Bundesrat erkannt worden. Herr Bundesrat Schneider-Ammann hat anlässlich der Kommissionssitzung in Aussicht gestellt, für den Fall, dass der parlamentarischen Initiative nicht Folge gegeben werde, seien bereits Verordnungsänderungen unterwegs, damit die Möglichkeit von Verwechslungen durch Konsumentinnen und Konsumenten möglichst ausgeschlossen werden können. Ich gehe davon aus, dass Herr Bundesrat Schneider-Ammann uns dazu noch konkretere Angaben machen kann.
Nun komme ich zum Haupteinwand vonseiten der Kommissionsmehrheit: Wir wissen ja, dass die materielle Wirkung dieses Prinzips eher bescheiden ist. Es sind relativ wenige Produkte, die dann auch tatsächlich in den Ladenregalen stehen. Wenn man jetzt diese relativ kleine materielle Wirkung aus der Welt schafft, dann gehen wir davon aus, dass damit ein falsches Signal zur falschen Zeit gesendet wird. Im Moment ist eher der Abbau von Handelshemmnissen gefordert und nicht zusätzliche Betonierung und Abschottung. Letzteres könnte fatale gesamtwirtschaftliche Folgen haben. Auch dazu hat uns Herr Bundesrat Schneider-Ammann in der Kommissionssitzung ein paar Beispiele aus seiner täglichen Praxis zitiert. Dieses Signal für einen zusätzlichen Schritt zurück zur Abschottung hat offenbar in der Wirtschaft zu einigen Irritationen und Unsicherheiten geführt. Nach Meinung der Kommissionsmehrheit sollen kurzfristige Gruppeninteressen nicht die gesamte Volkswirtschaft kompromittieren und in Schwierigkeiten bringen können. Ich zumindest gehe davon aus, dass langfristig sogar für die Landwirtschaftsbranche selbst Probleme entstehen könnten.
Es hat einmal ein gewisser Herr Bär, seines Zeichens langjähriger Chef einer Zürcher Bank, gesagt, das Bankgeheimnis habe dafür gesorgt, dass die Finanzbranche fett und impotent geworden sei. Das ist ein Zitat von Hans J. Bär. Ich schliesse nicht ganz aus, dass eine Abschottung der Agrarmärkte zu ähnlichen Ergebnissen führen könnte.
Ich verstehe mich als erklärten Freund der schweizerischen Landwirtschaft und insbesondere auch der schweizerischen Bäuerinnen und Bauern. Ich möchte eine Landwirtschaft, die eben nicht fett und impotent ist, sondern fit und kompetitiv. Ich glaube, dass dieses aktuelle Regime als relativ gutes Trainingslager dienen könnte, um dem Megatrend, der halt einfach in Gange ist, gegebenenfalls auffangen zu können, den Megatrend nämlich, dass man die Märkte öffnet, dass man Abschottungen abbaut. Dafür scheint mir die jetzt noch recht moderate Auseinandersetzung mit internationaler Konkurrenz wie gesagt ein ideales Trainingslager zu sein.
Im Vorfeld der Kommissionssitzung, am 15. Mai – die Kommissionssitzung war am 19. Mai -, war in der „Neuen Zürcher Zeitung“, also nicht in irgendeinem Kampfblatt irgendwelcher Provenienz, auf der Kommentarseite an die Adresse unserer Kommissionssitzung vom „Würgegriff der Bauernlobby“ die Rede. Ich möchte solche Titel und Schlagzeilen eigentlich künftig nicht mehr. Ich möchte, dass die Landwirtschaft als partnerschaftlicher Teil unserer Volkswirtschaft positioniert wird und nicht als Knebel in den Speichen der Gesamtwirtschaft.
Deshalb beantrage ich Ihnen namens der Mehrheit der Kommission, nicht auf das Geschäft einzutreten.
Ich wiederhole noch einmal die Zahlenverhältnisse: 7 Mitglieder der Kommission gegen 5 bei 1 Enthaltung beantragen Ihnen, nicht auf das Geschäft einzutreten und damit die Lebensmittel weiterhin dem Cassis-de-Dijon-Prinzip unterstellt zu lassen.“

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