Flankierenden Massnahmen für Mindestlöhne

Zanetti in der Ständeratsdebatte zum „Bundesgesetz über die flankierenden Massnahmen bei entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und über die Kontrolle der in Normalarbeitsverträgen vorgesehenen Mindestlöhne“ 

„Frau Kollegin Keller-Sutter hat das Wesentliche bereits gesagt. Auch ich empfehle Ihnen, auf die Vorlage „Entsendegesetz. Änderung“ einzutreten. Der parlamentarischen Initiative Lombardi will die Kommission ja mit 10 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung nicht Folge geben. Ohne das Kommissionsgeheimnis zu verletzen: Ich wollte einfach nicht dagegen stimmen, weil ich in der Sache die Stossrichtung von Lombardi richtig finde. Das kann man aber eben in diesem Entsendegesetz auffangen. Deshalb ist es lediglich ein formelles Nichtfolgegeben. Damit kann man leben.
Die dritte Vorlage, 16.029 „OR. Verlängerung von Normalarbeitsverträgen mit Mindestlöhnen“, wo der Bundesrat die Verlängerung von Normalarbeitsverträgen beantragt hatte, hat man nun eben in diesem Entsendegesetz aufgefangen. Es ist verwaltungsökonomisch und aus Gründen der Gesetzgebungsökonomie vernünftig, es in einer Vorlage zusammenzufassen.
Ich staune über die Stellungnahme von Kollege Föhn. Es ist für mich neu, dass er sich für Kuschelsanktionen starkmacht. Ich bitte Sie, das Grosse und Ganze einigermassen im Auge zu behalten: Wir werden uns noch unter verschiedenen Titeln mit Einwanderung, Massen- oder Weniger-Massen-Einwanderung, auseinandersetzen müssen. Wir werden uns für den Schutz des Arbeitsmarktes Schweiz, für die Erhaltung von schweizerischen Löhnen auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt, einsetzen müssen; dies vielleicht auch in anderem Zusammenhang. Da erstaunt mich der Positionsbezug von Kollege Föhn ein wenig.
Eine Differenz zu Kollegin Keller-Sutter habe ich bei Ziffer Ibis, der Änderung des Obligationenrechtes in Artikel 360a. Ich werde, wie bereits vom Kommissionssprecher und von Frau Keller-Sutter angedroht, darauf noch zurückkommen und zwei, drei Sätze dazu sagen. Ansonsten bitte ich Sie, auf die Vorlage einzutreten, der Verschärfung der Sanktionen im Sinne einer Ablehnung von Kuschelsanktionen zuzustimmen und bei Artikel 360a gemäss Minderheit zu verfahren.“

„Der Sprecher der Kommission hat einen rechtsgeschichtlichen und rechtstheoretischen Exkurs über den Normalarbeitsvertrag (NAV) gemacht. Dafür möchte ich ihm danken. Normalarbeitsverträge wurden insbesondere in Branchen erlassen, wo die Verhandlungspositionen der Arbeitnehmenden historisch schlecht waren – dies vor allem im Hausdienst und in der Landwirtschaft. Dies ist die Wiege des Normalarbeitsvertrages, wo man speziell schwache Arbeitnehmerkategorien eben mit dieser staatlichen Unterstützung ein wenig stärken wollte. Es ist eine segensreiche Einrichtung unseres kollektiven Arbeitsrechts, aber es ist kein Galopp in den Kollektivismus. Dafür sorgt allein schon die Herkunft der Antragsteller. Filippo Lombardi oder der Antragsteller im Nationalrat sind keine Kollektivisten. Es sind Leute, denen das Wohl speziell gefährdeter Arbeitnehmerkategorien am Herzen liegt. Deshalb plädieren sie für eine relativ vereinfachte Verlängerung der Normalarbeitsverträge.
Aber bloss für eine relativ vereinfachte: Der Erlass eines Normalarbeitsvertrages ist ausgesprochen kompliziert und zeitaufwendig. Sie können dies bei Bedarf in Artikel 359a Absatz 2 OR nachlesen. Die Voraussetzung für Mindestlöhne finden Sie auf der Fahne. Sie werden in Artikel 360a aufgeführt. Voraussetzung ist, dass orts-, berufs- oder branchenübliche Löhne erstens unterboten sind; sie zweitens wiederholt unterboten sind; sie drittens missbräuchlich wiederholt unterboten sind; dass viertens kein GAV besteht; fünftens kann die zuständige Behörde einen Normalarbeitsvertrag bzw. Mindestlöhne vorsehen, sie muss es aber nicht, und dies auch nur dann, wenn die tripartite Kommission entsprechend Antrag stellt. Zu guter Letzt ist das Ganze dann auch noch befristet. Es sind also sieben Hürden zu nehmen, bevor überhaupt ein Normalarbeitsvertrag erlassen werden kann.
Nun geht es darum, was passiert, wenn dieser per definitionem befristete Normalarbeitsvertrag auszulaufen droht. Sollen für eine Verlängerung – wie es die Mehrheit verlangt – beide Voraussetzungen erfüllt sein, nämlich die wiederholte Verletzung der Mindestlohnbestimmungen plus die voraussichtliche zukünftige Verletzung? Oder muss eines von beidem gegeben sein? Wenn beides gegeben sein muss und diese Normalarbeitsverträge, wie es der Vertreter der Minderheit I, Kollege Hefti, sagte, auch wirklich umgesetzt und durchgesetzt werden, dann gibt es gar nie eine Verlängerung, weil eben gar keine Missbräuche passieren, weil man sie eben buchstabengerecht umsetzt.
Das würde bedeuten, dass der Staat nichts machen kann, wenn der Normalarbeitsvertrag Ende August ausläuft und ein Inserat in der Zeitung steht, wo es heisst, man könne als Arbeitsvermittlungsorganisation ab 1. September Mitarbeiter zu Dumpinglöhnen anbieten. Es kann doch nicht unser Ernst sein, dass öffentlich angekündigt wird, in Zukunft müssten Mindestlöhne nicht eingehalten werden und dass mit Dumpinglöhnen operiert werden könne, dass ein Kanton nichts machen kann, weil in der Vergangenheit keine wiederholten Verletzungen passiert sind. Es sind zwar Verletzungen passiert, aber nicht wiederholt am gleichen Ort. Das kann doch in Gottes Namen nicht unsere Absicht sein.
Der Kommissionssprecher hat die Vertreter der Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz zitiert, welche sagen, die präventive Wirkung, wenn man das „oder“ anstatt das „und“ nehme, sei rechtsstaatlich heikel. Es gibt doch den Spruch „gouverner c’est prévoir“. Ich glaube, dass das auch für die Gesetzgebung gilt, dass man ein bisschen vorausschaut, sodass dann die zuständige Behörde adäquat reagieren kann. Aber sie kann nur adäquat reagieren, wenn die tripartite Kommission einen Antrag stellt. Der Kommissionssprecher hat die Anhörungen erwähnt. Der Gewerkschaftsbund, die Arbeitgeber und die Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz waren vertreten. Wenn jetzt die Volkswirtschaftsdirektoren, die Arbeitgeber und der Gewerkschaftsbund, wenn alle drei gesagt hätten, wir müssten dieses „oder“ einführen, dann würden wir das wahrscheinlich machen. Das ist sinnbildlich für die tripartite Kommission. Wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die staatlichen Behörden gemeinsam zu einem Antrag kommen, kann das die zuständige Behörde machen – das ist in der Regel der Regierungsrat, das sind in den meisten Kantonen keine Linkskollektivisten -, aber sie muss das nicht machen. Da öffnen Sie wirklich sämtliche Türen, damit der Staat handeln kann, aber nicht handeln muss. Aber das Handelnkönnen müssen Sie diesen Kantonen mindestens ermöglichen.
Deshalb bitte ich Sie, der Minderheit II zuzustimmen und nicht eine kumulative, sondern alternative Erfüllung der Kriterien als Voraussetzung zu beschliessen. Das gilt für die vereinfachte Verlängerung. Es geht nicht um den Erlass neuer Normalarbeitsverträge, sondern lediglich um die Verlängerung bestehender Normalarbeitsverträge. Ich glaube, da geschieht weder für unsere Rechtsordnung noch für unseren Arbeitsmarkt noch für sonst jemanden etwas Gravierendes. Im Gegenteil: Wir schützen unseren Arbeitsmarkt vor unzulässigen Dumpingbeeinflussungen. Wir erleichtern damit auch unser Verhältnis zu Europa. Das Ganze hat, wie es der Herr Bundespräsident gesagt hat, auch eine europapolitische Dimension. Da würde ich unserem Rat empfehlen, nicht heute schon alle Trümpfe auszuspielen.“

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