«Die Vorlage führt zu einem ruinösen Steuerwettbewerb»

Der SP-Ständerat und frühere Solothurner Volkswirtschaftsdirektor Roberto Zanetti sagt, warum er die Unternehmenssteuerreform III ablehnt. Gleichzeitig skizziert er einen Lösungsvorschlag, der für die Linke akzeptabel wäre.

Herr Zanetti, drohen bei einem Ja zur Unternehmenssteuerreform III tatsächlich Schreckensszenarien, wie sie die Gegner skizzieren?

Roberto Zanetti: Wir skizzieren keine Schreckensszenarien. Wir zeigen bloss die Risiken und Nebenwirkungen auf. Gesichert ist einzig, dass der Bund bei einem Ja 1,3 Milliarden Franken an Einnahmen verliert. In Kantonen und Gemeinden stochern die Finanz- und Steuerverwalter im Nebel, wenn sie versuchen, die Finanzen für die kommenden Jahre zu planen. Ich komme aus dem Kanton Solothurn. Dort sagt die Regierung, dass für die Zeit nach 2019 keine konkreten Aussagen mehr möglich sind. Denn es ist noch unklar, wie die Firmen mit den neuen Instrumenten umgehen werden und wie die neuen Instrumente im Detail ausgestaltet sein werden.

Wenn die Folgen der Reform noch unklar sind, ist auch eine positive Entwicklung möglich.

Da glauben sie aber an den Weihnachtsmann. Auch Kantone und Gemeinden werden massive Steuerausfälle verkraften müssen. Die Frage ist einzig, wie hoch diese ausfallen werden. Experten des Bundes gehen von schweizweit 2 Milliarden Franken aus.

Die erwähnten 1,3 Milliarden Franken dienen dazu, diese Mindereinnahmen zu redu­zieren.

Es ist falsch, wenn der Bund auf diese Weise Steuerdumping fördert. Es wäre sinnvoller, diese Bundesbeiträge würden mit Bedingungen verknüpft. So zum Beispiel, dass die kantonalen Unternehmenssteuern eine bestimmte Mindesthöhe haben müssten.

Glauben Sie tatsächlich, dass die Kantone wegen der Unternehmenssteuerreform rote Zahlen schreiben werden?

Nochmals zum Beispiel des Kantons Solothurn: Der Regierungsrat schätzt, dass die Steuereinnahmen allein aufgrund der Senkung der Gewinnsteuern auf 12,9 Prozent um 130 bis 140 Millionen Franken sinken werden. Davon entfallen 70 bis 75 Millionen auf die Gemeinden. Die Folgen der neuen Instrumente wie Patentbox, Inputförderung und zinsbereinigte Gewinnsteuer sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Der um 14 bis 15 Millionen Franken höhere Bundesbeitrag wird diese Ausfälle bei weitem nicht kompensieren. Ich war einmal Präsident der Finanzkommission im kantonalen Parlament und weiss deshalb: Diese Reform wird für den Kanton und viele Gemeinden nicht finanzierbar sein. Deshalb braucht es zügig eine Kurskorrektur.

Bei einem Nein am 12. Februar dürfte es aber nicht zügig gehen. Der Bundesrat antwortete kürzlich auf eine Frage der Linken, dass ein neues Steuerpaket erst nach rund fünf Jahren in Kraft trete.

Das Parlament schaffte es im Steuerstreit, die Lex USA innerhalb einer Session durchzube­raten.

 

Das war eine umstrittene Feuerwehrübung mit Nachtsitzungen. Zudem lehnte das Parlament diese Vorlage am Ende ab.

Ich behaupte nicht, dass die Unternehmenssteuerreform III in einer Session korrigiert werden könne. Aber in einem Jahr muss das möglich sein. Bei einem neuen Steuerpaket können bis zum Abschluss durchaus fünf Jahre verstreichen. Aber bei der Reform, um die es hier geht, sind die Eckwerte und Grundlagen bekannt. Mit der Variante, die der Bundesrats ausgearbeitet hatte, hätten wir eine durchaus taugliche Verhandlungsbasis. Darauf liesse sich aufbauen. Doch leider hat das Parlament daraus ein Steuersenkungswunschkonzert für die Grosskonzerne gemacht.

Die Reformgegner befürchten im Falle eines Neins offenbar eine Verzögerung. Die länger anhaltende Rechtsunsicherheit für Unternehmen würde Ar­beitsplätze gefährden.

Eine schnelle und schlechte Lösung ist schlimmer als eine reflektierte und gute Lösung. Wie gesagt glaube ich, dass wir rasch mit der Detailberatung beginnen könnten.

Selbst eine schnelle Korrektur der Reform käme für viele Unternehmen spät. Da die heutigen schweizerischen Privilegien international nicht mehr akzeptiert sind, werden viele Firmen auch bei einem Nein davon abrücken.

Schon heute wechseln Unternehmen freiwillig in eine ordentliche Besteuerung. Das beweist doch, dass die Befürworter Angstmacherei betreiben: Die heute steuerlich privilegierten Firmen würden längst nicht alle abwandern. Dazu sind die allgemeinen Rahmenbedingungen in der Schweiz viel zu gut.

Die Befürworter warnen im Gegenteil davor, dass viele der betroffenen Firmen abwandern, wenn ihre Steuerlast wegen der fehlenden Reform drastisch steigt.

Ich bestreite nicht, dass ein kleines Restrisiko besteht. Dies vermag aber niemand zu quantifizieren. Ich bin überzeugt, dass aufgrund der stabilen politischen Verhältnisse in der Schweiz, der hervorragenden Infrastruktur, der exzellenten Bildungs- und Forschungseinrichtungen, der Rechtssicherheit, der Lebensqualität und der vielen anderen Vorzüge die allermeisten Firmen bleiben würden.

Die Steuerbelastung ist ein entscheidender Faktor. Das bestätigen auch Fachleute, die Firmen bei Standortentscheiden be­raten.

Die Steuerbelastung ist einer von vielen Faktoren, aber sicher nicht der entscheidende. Schauen Sie sich die unterschiedlichen Steuerbelastungen in den Kantonen und die jeweilige wirtschaftliche Potenz der entsprechenden Kantone an. Genf, Basel-Stadt, Waadt und Zürich haben eher hohe Unternehmenssteuern, sind aber die Wachstumsmotoren der Schweiz.

Diese Kantone kennen andere Steuererleichterungen – Waadt und Genf haben zum Beispiel viele steuerlich privilegierte Firmen. Sie erwähnten die ursprüngliche Fassung des Bundesrats. Sie sah auch die höchst umstrittene Kapitalgewinnsteuer vor. Befürworten Sie ­diese?

Dieser Vorschlag stand in der seinerzeitigen Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates, wurde dann aber leider fallen gelassen. Ich unterstütze diese Idee, mache mir aber keine Illusionen: Die Besteuerung von Kapitalgewinnen ist zurzeit politisch chancenlos.

Die Bundesratsvorlage sah auch eine höhere Mindestbesteuerung von Dividenden vor. Zudem hat das Parlament einen Abzug für fiktive Zinsen auf überschüssigem Eigenkapital hinzugefügt.

Das sind die beiden Kernpunkte. Dividenden sind wie Zinsen ein Einkommen aus Kapital. Ich verstehe nicht, warum sie deutlich tiefer besteuert werden sollen als Einkommen aus Arbeit. Der Abzug fiktiver, also gar nicht angefallener Kosten, scheint mir die Spitze der Ungeheuerlichkeit.

Firmen haben Dividenden zuvor schon als Gewinn versteuert. Sie sollen nicht ein zweites Mal besteuert werden.

Mit der heutigen und nun auch künftigen Regelung erfolgt nach Aussagen der damalig Finanzministerin Widmer-Schlumpf eine Unterbesteuerung. Diese Unterbesteuerung hätte unbedingt beseitigt werden müssen. Das wäre eine Frage der Steuergerechtigkeit gewesen. Was mich ebenso stört wie die tiefe Dividendenbesteuerung ist der fiktive Zins, den Unternehmen bei einem Ja neu abziehen können. Und zwar auf Eigenkapital, das gar keine Zinskosten verursacht. Das ist eine Pervertierung des Steuersystems und schreiend ungerecht. Eigenheimbesitzer müssen mit dem Eigenmietwert ein fiktives Einkommen versteuern, das sie gar nicht erzielen, und Unternehmen können fiktive Zinskosten abziehen, die bei ihnen gar nicht anfallen. Das ist doppelt ungerecht und völlig absurd. Es stellt unser Steuersystem fundamental auf den Kopf – zugunsten der Konzerne und zulasten der Mittelschichten. Und schliesslich finde ich die Inputförderung mindestens fragwürdig.

Diese sieht vor, dass Unternehmen für Forschung und Entwicklung bis zu 150 Prozent abziehen dürfen – also mehr als die tatsächlichen Kosten.

Was soll ein Pendler davon halten, der nur einen Teil seiner Kosten für den Arbeitsweg anrechnen darf. Auch beim auswärtigen Mittagessen oder bei den Krankenkassenprämien darf er nur einen Bruchteil der tatsächlichen Kosten abziehen. Auch hier wieder eine Ungleichbehandlung zwischen Unternehmen und normalen Steuerzahlern.

Bei Forschung und Entwicklung stehen wichtige Arbeitsplätze auf dem Spiel. Auch die SP müsste doch ein Interesse daran haben, dass diese nicht ans Ausland verloren gehen.

Gewiss. Aber mit 150 Prozent hat das Parlament auch hier überzogen. Ein derart hoher Abzug wäre gar nicht nötig. Es scheint mir einfach systemwidrig, mehr abziehen zu können, als man ausgegeben hat. Aber es ist die Kombination der unterschiedlichen Instrumente, welche zu einem ruinösen Steuerwettbewerb unter den Kantonen führen wird.

Die Idee einer breiten Palette an Steuerabzügen soll doch den ruinösen Wettbewerb gerade verhindern: Die Kantone sollen bei der Umsetzung eine passende Auswahl treffen können.

Die Realität wird sein, dass die Kantone alle Instrumente mit einem Maximum an Abzügen anbieten müssen , damit sie gegenüber Nachbarkantonen steuerlich nicht ins Hintertreffen geraten.

Das stimmt nicht. Basel-Stadt hat zum Beispiel eine moderate Lösung gewählt, die der dort wichtigen Pharmaindustrie Rechnung trägt. Zürich will den Steuersatz für Unternehmen nicht stark senken.

Steuerwettbewerb ist ein hoch dynamischer Prozess. Was jetzt mit Blick auf die Abstimmung im kommenden Februar vorgeschlagen wird, wird sehr bald der interkantonalen Entwicklung angepasst werden müssen. Es wird zu tendenziell zunehmenden Steuerausfällen in den Kantonen und Gemeinden kommen. Das zeigt nicht zuletzt auch die Erfahrung und die Geschichte. Schliesslich steht ja noch nicht einmal fest, wie die einzelnen Instrumente im Detail ausgestaltet sein werden. Wir kaufen die Katze im Sack. Das ist steuerpolitisches Bungee-Jumping ohne Seil. Ich unterstelle gewissen Akteurinnen und Akteuren, dass es in Wirklichkeit darum geht, den Staat finanziell auszuhungern. Indem man ihm Einnahmen wegnimmt, kann man indirekt Staatsabbau betreiben. Ein armer Staat kann kein sozialer Staat sein, da hatte Willi Ritschard schon recht.

Die Aussage mit dem Aushungern ist eine bekannte, aber unbewiesene linke These. Es stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel. Sonst wäre diese Reform nicht möglich gewesen.

Aber derart hohe Ausfälle sind nicht nötig. Eine sozial verträgliche Reform wäre so ausgestaltet gewesen, dass die Wirtschaft die Steuerausfälle weitgehend selber hätte kompensieren müssen. Weitgehend, nicht vollständig. Wir hätten also Hand zu einer ausgewogenen Lösung geboten. Aber ein solches Selbstbedienungsfestival der Unternehmen und Unternehmer verletzt die landesübliche Vorstellung von Solidarität und Gemeinsinn. Auch wenn es die Befürworter abstreiten: Jetzt läuft es darauf hinaus, dass am Ende die natürlichen Personen – also die Privathaushalte – die Zeche zahlen. Denn die Gemeinden und Kantone müssen die Mindereinnahmen ja irgendwie kompensieren. Weil ich das verhindern will, kämpfe ich für ein Nein.

Quelle: Berner Zeitung

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One thought on “«Die Vorlage führt zu einem ruinösen Steuerwettbewerb»”

  1. Vassil Zlatareff sagt:

    Als individueller Steuerzahler muss man die USRIII unbedingt kritisch hinterfragen. Ziel der USRIII ist in der Schweiz ansässige internationale Firmen durch diverse Steuerreduktionen auch in Zukunft in der Schweiz zu halten. Steuerlich begünstigt werden allerdings nicht nur diese Firmen, sondern alle in der Schweiz domizilierten Unternehmen, mit entsprechend ausserordentlich hohen Stuerausfällen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit lassen sich diese Steuerausfälle nur durch Erhöhung der allgemeinen Steuern kompensieren. So erwähnt der Berner Oberländer/Thuner Tagblatt mögliche massive Steuererhöhungen in der Grössenordnung von 10 bis 38% verschiedener Berner Gemeinden (Ausgabe vom 30. Dezember 2016)!